Rotzfrech und irgendwie links

■ 15jähriger Jan Müller-Wiefel bringt das Fanzine PiPa Millerntor heraus Von Clemens Gerlach

Auf seine Fans kann sich der FC St. Pauli verlassen. Auch nach dem Abstieg aus dem Oberhaus blieben die Anhänger dem Kiezclub treu und in puncto Einfallsreichtum – von wenigen Aussetzern abgesehen – bundesligareif. Sind die Fans quasi das Aushängeschild, so können die Fanzeitschriften (Fanzines) als deren Visitenkarte gelten. Am Millerntor erscheinen gleich vier: Unhaltbar und Der Übersteiger (beide aus dem Millerntor Roar hervorgegangen), Fan Mag (seit Beginn dieser Saison) und PiPa Millerntor.

Letztere ist das Projekt des 15jährigen Jan Müller-Wiefel, der es auf 25 Ausgaben seit Juni 1992 brachte. Am Sonntag, wenn der Zweitligafünfte gegen den FSV Frankfurt sein letztes Heimspiel in diesem Jahr austrägt, wird auch der Zehntklässler da sein, um sein neuestes Heft feilzubieten: Wie fast jeden Monat 20 kopierte Schwarz-Weiß-Seiten für 80 Pfennige. Zuschauen kann er jedoch nicht: „Am abend ist der Abschlußball meines Tanzkurses“.

Mit 13 veröffentlichte Jan die erste Ausgabe: „Es waren Sommerferien, ich hatte nicht Besseres zu tun.“ Wobei genau genommen ein voller Aktenordner der eigentliche Anlaß war. In dem sammelte er Zeitungsausschnitte über seinen Lieblingsverein (seit er mit zehn das erste Mal bei einem Heimspiel gewesen war), bis nichts mehr rein ging. „Nur so“ habe er dann mit PiPa angefangen, „die aktuellsten Schnipsel mußten ja irgendwo hin.“ Nämlich eingeklebt in die erste PiPa. Der Titel drängte sich fast auf: „Ich hatte alles Mögliche gesammelt, halt so'n Pipapo. Das war mir als Name zu lang, da sollte ja noch Millerntor hinter.“ Darüber, ob es nicht sehr couragiert gewesen sei, sich als 13jähriger mit einem eigenen Heft in die Öffentlichkeit zu wagen, hat sich Jan nie Gedanken gemacht: „Ich habe es einfach getan.“

Seit der Debütnummer schreibt er fast alle Artikel: Über Auswärtsfahrten, Statistiken und was sonst noch so anfällt. Cartoons und eine Leserbriefseite sind ebenso vorhanden. Den politischen Hintergrund jenes Phänomens, von dem er selber ein Teil ist, will der Slime-Fan dabei nicht ausblenden: „Darauf lege ich schon wert.“ Kritische Beiträge („irgendwie links“) über den Ausbau des Millerntors oder rechte Fangruppen sind Indiz dafür. Den Lesern scheint es zu gefallen, denn seit der ersten Nummer stieg die Auflage kontinuierlich: Von anfänglich vier („noch sehr schraddeligen Hefte“) wurden es bis heute 350 Stück. Seit April verkauft er seine PiPas auch vor dem Stadion; zuvor nur am Gymnasium Blankenese („Ich würde gerne einmal im Schanzenviertel leben“), oder im Fanladen. „Mehr sollen es auch nicht werden“, denn PiPa soll zwar „nicht läppisch“ sein, „aber auch nicht zu professionell“. Zudem fällt der Verkauf schon jetzt schwer. Drei Freunde helfen und zum Dank spendiert er eine Wurst: „Irgend etwas müssen die ja kriegen.“ Geld gibt's keines, weil er trotz Anzeigen keinen Gewinn macht. Sämtliche Einnahmen gehen fürs Kopieren drauf: Seit zwei Ausgaben übernimmt ein Copy-Shop die Vervielfältigung. „Ich falte die kopierten DIN A 3-Bögen nur noch.“

Im Vergleich mit der Konkurrenz, die er gar nicht als solche begreift und die in höherer Auflage (2.000 bis 3.500) erscheint, wird deutlich, das PiPa etwas besitzt, was sich die anderen Fanzines nicht mehr leisten können oder wollen: Rotzfrechheit. Oder ist es Unbedarftheit? Der süße Vogel Jugend, der anderen auch mal auf den Kopf scheißt? Wie auch immer, wo ältere zurückzucken, kommen dem „Herausgeber und Chefredakteur“, der später nicht Journalist werden will, keine Bedenken. Gedankenlosigkeit ist es jedenfalls nicht.

Andererseits würde er manch früheren Artikel nicht noch einmal so schreiben: HSV mit „Hunkes Scheiß Verein“ zu übersetzen ist für ihn heute undenkbar. Es klingt komisch, wenn ein 15jähriger von seinen Jugendsünden spricht. Und man spürt Stolz, obschon er seine Arbeit nicht an die große Glocke hängen mag: „Man kann Fortschritte sehen.“ Wie lange er PiPa noch machen will? „Ich weiß nicht.“ Aber eigentlich hat er dies ja auch schon gesagt, als er anfing.