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■ "Kristallnächte" von Tonia Marketaki im Moviemento

In der einführenden schwarzweißen Waldszene wird Isabella – der unsterblichen Protagonistin des Films „Kristallnächte“ – prophezeit, daß am Tage ihrer Hochzeit einer geboren wird, der für sie geschaffen ist. Man spricht deutsch in den dreißiger Jahren. Aber das liegt daran, daß Isabella deutschstämmig ist. Sie heiratet einen wohlhabenden griechischen Offizier. Die Familie lebt in einem schönen Haus mit seltsamer Wandbemalung, in der allein die Augen des Satans blau leuchten. Von den zwei Töchtern hat die jüngere übersinnliche Fähigkeiten der Mutter geerbt. In einer braun gefilmten Szene warnt sie Isabella davor, ans Fenster zu treten. Denn beim Blick nach draußen erblickt sie die blau leuchtenden Augen Albertos. Alberto ist Kaufmann – alle Juden werden in dieser Zeit so abklassifiziert –, und er ist sehr jung. Zwischen ihnen aber scheinen keine Worte notwendig zu sein, weil sie füreinander geschaffen sind. „Wenn den Juden des Nachts die Geschäfte zertrümmert werden, nennt man das Kristallnächte, ganz poetisch“, spöttelt Alberto. Und so durchsichtig wie Kristall wollen sie füreinander sein. Isabella denkt: „Nur du bist für mich kein Fremder auf dieser Welt“, und Alberto weiß es.

„Wir haben keine Zunkunft“, denkt sie auch, denn „die Zukunft bedeutet Tod und nicht einmal die Ruinen werden bleiben ... Das Hakenkreuz symbolisiert die Reinkarnation.“ Sie schnitzt ihm eines am Tage seiner Hochzeit – einer jüdischen versteht sich – in den Türrahmen. Aus Eifersucht erschießt sich Isabella und ist dennoch da: Anna, ein noch sehr kleines Mädchen, verrät Albertos jüdische Sippschaft, um ihn wie einst Isabella ganz für sich zu haben. Und obwohl alles darauf hindeutet, daß Anna Isabella ist, und alle bekannten Worte nochmals das unsterbliche Band zwischen ihnen knüpfen sollen, scheint die Liebe nicht möglich zu sein. Weil Alberto, der nach dem Krieg zu einem unansehnlich-neureichen Griechen mutiert ist, nur ein „normales“ Leben führen will, und Anna mittlerweile zum wartenden Opfer geworden ist. Doch die Nacht des „Zerbrochenen Glases“ entflammt wieder vor seinen Augen.

„Kristallnächte“ bleiben unvergeßlich, nicht nur das teilt die erst kürzlich verstorbene Regisseurin Tonia Marketaki mit. Unauffällig und subtil montiert sie die scheinbare Gegensätzlichkeit zweier Liebender zur polarisierten Welt. Olivera Stevanovic

Der Film „Kristallnächte“, am 3.12. und 7.12. im Moviemento, Schönleinstraße. Als weiterer Film von Tonia Marketaki ist „Der Preis der Liebe“ am 3.12. und am 6.12. zu sehen.

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