Matsch-Kultur in Hellersdorf

■ Die Kultur im Neubaubezirk erlebt den Aufschwung Ost durch Schlamm-Catchen

Das vietnamesische Pärchen in der hintersten Reihe im kalten Großzelt schaute zunächst etwas ungläubig auf das, was da vorn im Boxring passierte, konnte sich aber dann doch amüsieren. Vor ihren Augen rauften sich etliche Deutsche durch den Schlamm, wofür sie vom Publikum gefeiert wurden. Das bestand vorwiegend aus jüngeren Leuten – Hellersdorf ist eben der Bezirk mit dem niedrigsten Durchschnittsalter. Und der mit dem geringsten Kulturangebot, weshalb sich die Veranstalter dachten, ihre „Show der Superlative“ würde hier einen Besucheransturm auslösen.

Den gab es allerdings nicht. Möglicherweise demonstrierten die überdurchschnittlich gut ausgebildeten und verdienenden Hellersdorfer, die ihre politische Dekadenz zuletzt wieder mit fast 50prozentigen PDS-Wahlergebnissen bewiesen, mit ihrem Desinteresse gegen die Niveaulosigkeit des Staates Bundesrepublik. Zur Show am Mittwoch hatten die Veranstalter deshalb massenhaft Freikarten verteilt, wodurch das Zelt an diesem ungünstigen Wochentag doch noch ganz gut gefüllt wurde. Selbstkritisch hatte der zu DDR- Zeiten für die Organisation von sozialistischen Brigadefeiern und Tanzabenden für Alleinstehende in einem Lichtenberger Kulturhaus zuständige Manager Dölling aber auch erkannt, daß der Begriff Mega-Party „nicht so richtig aussagefähig ist. Da müssen wir noch dran arbeiten.“

Derweil arbeiteten zwischen dem Seilquadrat die Akteurinnen des Abends schon erfolgreich an der guten Laune des Publikums, die auch adäquat zum Alk-Pegel anstieg. Und bei den Darbietungen der „Golden Catch-Girls“ der Mann-Oh-Mann-Spielshow mit Zuschauern johlten nicht nur Männer begeistert. Die Anwesenheit vieler Frauen zeigte einmal mehr, wie sehr die DDR-Erziehung bei den Frauen doch vielfältige Spuren im Selbstbewußtsein hinterlassen hat. So werfen sich die catchenden Mädchen nicht, wie von manchen vielleicht vermutet, zum Zwecke der Existenzsicherung in den Matsch, sondern die junge Zahnarzthelferin, Friseuse oder Sekretärin tut dies aus Geigel und Spaß – solange der bezahlt wird. Die junge Mutter zweier Kinder will zum Beispiel einfach der Langeweile des Lebens entfliehen.

Wenig Berührungsängste mit dem neuartigen Kulturangebot zeigen auch die Zuschauerinnen. (Daß die männlichen Gäste den Einmarsch der leicht geschürzten Frauen lautstark begleiten und die Einladung des Moderators zur Einölung der catchenden Schwestern Inge und Jeanie freudig annehmen würden, war schließlich klar.) Der Aufforderung an die Frauen zum Publikumscatchen um den 500-Mark-Preis folgen nach kurzem Drängen tatsächlich vier Besucherinnen. Darunter eine Zwei-Zentner-Kämpferin, deren bierbäuchiger Gatte vorher ebenfalls schon einen Hunderter beim Sponti-Strip gewonnen hatte. Seine Frau schied allerdings in der Vorrunde aus. Nichtsdestotrotz geht auch sie nach dem dreieinhalbstündigen Programm zufrieden nach Hause. Frank Dölling, im Organisationskomitee mitagierender Schwager des Promo-Managers Uwe, will denn auch die Show am liebsten als feste „kulturelle Einrichtung“ in Hellersdorf etablieren. Woanders scheint das Feld bereits abgegrast. „Gerade der Westen ist in der Hinsicht übersättigt.“ Und im Osten, wo man zuvor übers Brandenburger Land getourt ist, sind die Leute oft mit falschen Erwartungen und teilweise mit Kindern in die Show gekommen. „Schlamm, Öl, Dessous – manche konnten das gar nicht übersetzen.“ So ist das eben manchmal mit der Kunst. Gunnar Leue