Die SPD und die Angst vor der PDS

An der Ost-Basis ist der Umgang mit der PDS schon seit längerem Thema / Die Parteispitze vermeidet jede Debatte über die Frage, wie die Große Koalition 1995 abgelöst werden kann  ■ Von Severin Weiland

Im Verhältnis der SPD zur PDS haben derzeit die Auguren Hochkonjunktur. Wie der Teufel das Weihwasser vermeiden die Sozialdemokraten eindeutige Aussagen, unter welchen Voraussetzungen im Falle einer Abwahl der Großen Koalition im Oktober 1995 eine neue Mehrheit zusammengezimmert werden könnte. Sorgenvoll werden die Mienen der SPD-Politiker, wenn sie an jene Variante denken, die in Sachsen-Anhalt bereits Realität ist: eine rot-grüne Minderheitsregierung, geduldet durch die ehemaligen Einheitssozialisten.

Einfach macht es nur Walter Momper seinen Genossen, der gegen Sozialsenatorin Ingrid Stahmer um das SPD-Spitzenamt kämpft: Mit ihm werde es keine wie auch immer geartete Form der Zusammenarbeit mit der PDS geben. Kontrahentin Stahmer bot kürzlich in einem taz-Interview mit ihrer Formel, sich nicht von der PDS „abhängig“ zu machen, zu allerlei Rätselraten Anlaß. Wenige Tage später, in einer Fernsehdiskussion des SFB, schloß sie sich Mompers Aussage hingegen an. Ein einsamer Rufer, der aber ebensowenig Klarheit in die Debatte bringt, ist seit längerem Kreuzbergs Bürgermeister Peter Strieder. Der dem linken Flügel angehörende Sozialdemokrat formuliert gerne abstrakt, wenn er erklärt, es könne „nicht angehen, daß die Existenz der PDS auf Dauer eine Große Koalition vorschreibt“. Der parlamentarische Geschäftsführer Helmut Fechner, selbst Ostberliner, tritt zwar für „eine klare Abgrenzung“ gegenüber der früheren Staatspartei ein. Andererseits müsse aber darüber nachgedacht werden, wie man „ehemalige SED-Mitglieder und PDS-Wähler für die Wahl der SPD gewinnen kann“.

Darüber zerbricht sich auch die Basis vor Ort den Kopf. „Wir müssen deutlicher linke Themen besetzen“, meint etwa der Hohenschönhauser Kreisvorsitzende Jacek Gredka. Als Beispiele zählt der Ingenieur die Preissteigerungen bei den Berliner Verkehrsbetrieben oder die Gleichstellung im öffentlichen Dienst auf. „Alles Themen, mit denen die PDS hier vor Ort kräftig Politik macht.“

Ohnehin sind die Ost-SPDler gegenüber Gysis bunter Truppe auch in organisatorischer Hinsicht im Hintertreffen. Von den 24.500 Mitgliedern des Landesverbands entfallen nur 2.600 auf Ostberlin. „Ich muß ohne Neid anerkennen, daß die PDS viele qualifizierte Leute hat, die wissen, wie man einen Wahlkampf professionell organisiert“, beschreibt Gredka eine weitere SPD-Schwäche.

Das Thema einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit wird von der SPD-Spitze auf die lange Bank geschoben. Während der Brandenburger Landesgeschäftsführer Martin Gorholt in einem Positionspapier für ein „unverkrampftes Verhältnis“ wirbt und Ministerpräsident Manfred Stolpe den PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky kurz nach der Bundestagswahl offiziell empfing, sitzt der Berliner Landesverband wie das Kaninchen vor der Schlange. Dankward Brinksmeier, SPD- Volksbildungsstadtrat in Mitte und Vorsitzender des Kautsky- Bernstein-Kreises, ein Verein, dem zahlreiche ehemalige SED- Kader angehören, wägt jedes Wort genau ab: „Es reicht nicht aus, daß die SPD-Spitzenkandidaten Momper und Stahmer ihre Ablehnung gegenüber der PDS bekunden. Das Thema muß innerhalb der Partei breit diskutiert werden“. Erst jetzt werde sich die SPD darüber klar, daß „demnächst Verhältnisse wie in Sachsen-Anhalt entstehen könnten“.

Ohnehin sind auf Bezirksebene beide Parteien zum pfleglichen Miteinander gezwungen. In den Bezirksämtern, nach dem Gesetz zu kollegialer Zusammenarbeit verpflichtet, sitzen zahlreiche PDS-Stadträte. In Mitte, so meint Brinksmeier, seien die ehemaligen Einheitssozialisten „in Einzelfällen eine berechenbare Größe“, sei man ohnehin durch den parlamentarischen Alltag gezwungen, sich in kleinem Kreise vor Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlung gegenseitig abzustimmen.

In der Plattenbausiedlung von Hellersdorf kämpft der Kreisvorsitzende Werner Krause mit 170 Mitgliedern gegen die rotrote Übermacht. Vom Ausgrenzen der PDS hält er wenig: „Diese Phase haben wir hinter uns. Man muß doch klar sehen, daß viele Jugendliche und Intellektuelle die Partei wählen.“ Ehemalige SED-Mitglieder seien von Anfang an bei ihnen aufgenommen worden, sofern es sich dabei nicht um Kader gehandelt habe, erzählt er.

Kürzlich erst hatte sich der Kreisverband vorgenommen, den ehemaligen Ostexperten Egon Bahr zu einer Diskussion einzuladen. Doch der SPD-Veteran mußte, so bedauert der 62jährige, aus Termingründen absagen. Der Rückgriff auf Bahr geschah wohl nicht ohne Hintergedanken: Erst vor wenigen Wochen hatte sich dieser in einem Spiegel-Interview für eine Aufnahme unbelasteter ehemaliger Spitzenkader eingesetzt. Was der SED durch die Zwangsvereinigung 1946 an SPD- Substanz zugeflossen sei, wolle er gerne wieder zurückhaben. Bahr kleidete es in die pathetische Formel: „Ich will unser Blut zurück“. Vielen Ost-Mitgliedern, wie der Mitgründerin der DDR-SPD, Angelika Barbe, sträuben sich bei solchen Formulierungen die Haare. Mit aller Schärfe lehnt die Berlinerin eine generelle Übernahme von Altkadern ab. Dies müsse, so formulierte sie jüngst, den untersten Gliederungen der SPD nach wie vor vorbehalten bleiben. Jeder Eingriff von oben stelle die Partei vor eine Zerreißprobe.

Doch der zunehmende Druck an der Basis zwingt die Berliner SPD zu einer Auseinandersetzung über mögliche Optionen links von der CDU. Der Kreisverband in Mitte will sich in den nächsten Wochen intensiv mit dem Thema PDS befassen, andere SPD-Gliederungen folgen.

Hellersdorfs Kreisvorsitzender Krause formuliert den Anspruch an den Landesverband: „Wir müssen über Modelle der Tolerierung einer rot-grünen Regierung durch die PDS diskutieren, auch wenn sie letzlich nicht realisiert werden. Es wäre ein Fehler, von der Realität später überrascht zu werden und dann darauf in keinster Wiese vorbereitet zu sein.“ Es sei wichtig, den „innerparteilichen Standpunkt der Mitglieder zu dieser heiklen und umstrittenen, mit vielen Emotionen belasteten Frage“ zu erkunden.

Schon einmal war die SPD vom Wählervotum überrumpelt worden. Als es 1989 entgegen aller Prognosen in West-Berlin eine rot- grüne Mehrheit gab, griff Walter Momper zu. Und handelte sich den Vorwurf einiger Medien ein, die eigene Klientel durch anderslautende Erklärungen vor der Wahl hintergangen zu haben. Ein Stichwort war schnell gefunden: Die „Momper-Lüge“.