Unorte: Nachbarwohnungen gegenüber Von Claudia Kohlhase

In Nachbarwohnungen geht meistens jemand hin und her, und wenn keiner hin- und hergeht, ist es verdammt leer. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob es in Ordnung ist, daß ich das sehe. Außerdem bin ich kurzsichtig. Und so genau will's ja auch wieder niemand wissen, was die da drüben machen. Das linke Fenster ist jedenfalls die Küche, vom Licht her. Weiß wie Küchenschnee. Es kann natürlich auch ein Dentallabor sein, wo jemand Sulfate säuert oder was weiß ich, was man in Labors macht. Es interessiert mich ja auch nicht. Wofür gibt's eigentlich Gardinen?

Es ist im Grunde unschön, daß ich dauernd gezwungen werde, ein Teil der Öffentlichkeit zu sein, bloß weil die da drüben ihr Privatsein ausstellen. Schließlich hat man doch ein Recht auf verschleierte Ansichten oder möchte, daß Menschen Dinge verbergen und seltsame Sachen machen, von mir aus Sulfate säuern. Aber vermutlich tun sie nicht mal das, sondern verbrennen höchstens die ein oder andere Kerze ohne Rauchentwicklung. Ich frage mich aber doch, wieso man dauernd hin und her gehen kann; man muß doch mal was zu tun haben, vielleicht Tabletts tragen oder Schals bei Angina. Manchmal bleibt der Mann ja am Fenster stehen, sicher galoppierender Trübsinn, kein Wunder bei diesem Licht.

Seit kurzem muß zwischen den zwei rechten Fenstern allerdings eine neue Lampe stehen. Da schimmert auf einmal so ein röchelndes Rot und man sieht Stahlarmartiges. Ein Freund wollte mir schon sein Fernglas leihen, aber das wäre zu nah und geheuchelt, denn wen interessiert schon ein Stahlarm? Und nachher guckt einer zurück. Obwohl das gar nicht so schlecht wäre, damit ich hier nicht sinnlos interessante Sachen mache. Ich turne und turne morgens und gräme mich bei Fehlhaltungen, aber wenn ich hochgucke, ist gegenüber meist gar niemand.

Ich weiß immer noch nicht, ob beide Regelarbeitszeit haben oder ob es sich um Lehrer handelt. Aber dafür brennt nachts zu lange das dentale Licht, und Lehrer müssen ja viel schlafen. Wer weiß, was die für Zirkel abhalten, wenn andere sich reproduzieren müssen. Wenn ich's mir recht überlege, bieten sie mir nicht viel, und ich darf mich mit diesen Lichtspekulationen abgeben. Ich biete ihnen viel mehr, zum Beispiel stelle ich Nußstangen für Vögel auf, durch die man ein Sitzholz schiebt. Das muß man doch mal gesehen haben, und so was mach' ich ja auch deswegen. Und da kann jemand viel erzählen, er hätte kein Geld: Wer haufenweise Müllsäcke kaufen kann, der wird doch auch mal Meisenknödel kaufen können, damit reelle Tiere durchs Bild fliegen und nicht immer bloß Menschen hin und her gehen. Die Müllsäcke stehen übrigens auf dem Balkon, na klasse. Da steht auch sonst nur noch Kraut und Rüben und macht einem die Augen blöde.

Ich bin neulich auf Schleichwegen zu zwei Häkelsets gekommen, die man normalerweise unter Sahnekännchen oder hinten in die Schublade legt. Ich habe sie auf meine Balkontüre geklebt, aber der Tesa-Film hat nicht gehalten. Natürlich sind Häkelsets auch kein Thema, und die da drüben werden sich von Häkelsets nicht davon abhalten lassen, unverrichteter Dinge hin und her zu gehen. Aber die Mausezähnchen vor der Aussicht waren gar nicht so übel und immerhin ausnehmend privat.