Die große Show des guten Willens gegen Aids

■ Alle Teilnehmer beim „Aids-Gipfel“ versprachen viel und diskutierten nichts

Paris (taz) – „Mein Land hat Kredite bewilligt“ – „meines hat die Zusammenarbeit mit Afrika intensiviert“ – „meines hat Forschungslaboratorien eröffnet“. Einer nach dem anderen traten gestern Regierungschefs und DelegationsleiterInnen an das Mikrofon im Pariser Unicef-Gebäude, um den TeilnehmerInnen des ersten Welt-Aids-Gipfels die Bilanz der eigenen Arbeit vorzustellen. Tenor: Alle tun etwas, und alle wollen mehr tun. Kritik an der Aids-Politik einzelner Länder kam bei der Veranstaltung erst gar nicht auf. UN-Generalsekretär Butros Butros Ghali, der direkt aus Bosnien angereist war, erkannte allerdings global „schwere Versäumnisse“ und forderte dazu auf, den „weltweiten Aids-Ausnahmezustand“ auszurufen. Frankreichs Regierungschef und Gastgeber Edouard Balladur sekundierte mit dem Satz: „Die Epidemie wird entweder überall oder gar nicht besiegt.“ Seine NachrednerInnen gaben ihm ausnahmslos recht und lobten zugleich die französische Initiative, den ersten Aids-Gipfel auszurichten. Zweiundvierzig Länder waren direkt vertreten, einige weitere – darunter auch die neue ruandische Regierung – hatten Gaststatus.

Eingeladen waren ursprünglich Regierungs- und Staatschefs. Letztere winkten ausnahmslos ab – nicht einmal Frankreichs Präsident François Mitterrand ließ sich gestern morgen auf dem Treffen blicken. Nur zwölf Länder schickten Regierungschefs nach Paris – darunter lediglich vier Industriestaaten. Aus Afrika waren immerhin sieben Premierminister angereist.

Repressive Praktiken waren kein Thema

Alle anderen Teilnehmerländer – darunter auch Deutschland – entsandten Gesundheitsminister nach Paris bzw. beschränkten sich gleich darauf, nur ihre Botschafter in das hinter der École Militaire gelegene Unicef-Gebäude zu bemühen. Auch Thailand, eines der Länder mit dramatischer Ausbreitung der Epidemie, ließ sich von seinem Botschafter vertreten. Brasilien, Mexiko, die Bahamas und Argentinien taten es genauso.

Ursprünglich hatte die konservative französische Gesundheitsministerin Simone Veil das Aids- Treffen vor zwölf Monaten angeregt, um das Thema auf die allerhöchste Ebene der politischen Hierarchie zu hieven. Neben der Zusammenarbeit von ExpertInnen sollte endlich eine internationale politische Koordination im Kampf gegen die Epidemie einsetzen. Auf hoher Ebene sollten konkrete Aktionen vereinbart und Gelder lockergemacht werden.

In dieser wohlgemeinten Absicht entstand auch die Abschlußerklärung, die gestern unterzeichnet wurde. Die Teilnehmerstaaten versprechen darin, künftig mehr aufzuklären, Präservative zugänglicher zu machen, Bluttransfusionen besser zu kontrollieren und HIV-Infizierte und Aidskranke nicht mehr auszugrenzen.

Einige ob ihrer repressiven Aids-Politik berüchtigte Länder, wie Kuba, das HIV-Positive einsperrt, waren auf der Konferenz gar nicht vertreten. Andere wiederum hielten sich vornehm zurück. Die chinesische Regierung, die ebenfalls einsperrt, die russische, die Zwangstests durchführt, die US-amerikanische, die HIV- Positive nicht einreisen läßt, die schwedische, die HIV-Positive mit „gefährlichem Lebenswandel“ interniert – diese Länder waren mit eigenen Delegationen vertreten. Doch die Widersprüche ihrer Aids-Politik zur feierlichen Schlußerklärung des Gipfels machte niemand zum Thema.

Ein paar AktivistInnen von französischen Act-Up-Gruppen, die das aufwendige Treffen schon im Vorfeld als reine Schaufensteraktion kritisiert hatten, schritten gestern zur Tat. Zur Hauptverkehrszeit legten sie sich auf die Pariser Champs-Elysées und skandierten: „Epidemie außer Kontrolle.“ Dorothea Hahn