Profit mit tolpatschigen Bärchen

Erstmals verkauft ein russisches Unternehmen seinen Mehrheitsanteil gegen Geld / Aktien der Schokofabrik „Roter Oktober“ werden in London und Rußland angeboten  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Rußlands größte und älteste Schokoladen- und Pralinenfabrik hat dafür gesorgt, daß sich russische BürgerInnen, aber auch ausländische institutionelle Investitoren ab Montag die Zukunft auf bahnbrechende Weise mit Aktien versüßen können. Von diesem Stichtag an sollen zwei Wochen lang 3,5 Millionen Wertpapiere der Moskauer Firma „Roter Oktober“ auf den Markt kommen, deren Wert auf mindestens 22 Millionen US-Dollar geschätzt wird. Die Auktion ist nicht nur die bisher größte Aktien-Versteigerung im Rahmen der Privatisierung russischer Unternehmen gegen Geld; Vertretern der Privatisierungsbehörde zufolge ist sie auch der erste Fall, in dem eine erstklassige russische AG ihren Mehrheitsanteil (55 Prozent) verkauft. Die Firma beabsichtigt, eine Million Aktien im Ausland abzusetzen – an institutionelle Anleger, die sie in London bei der Samuel Montagu Bank ersteigern können. Weitere 1,5 Millionen Wertpapiere gehen an russische Institutionen, die restliche Million an KleinaktionärInnen. Erstmals seit Ende der Voucher- Privatisierung haben RussInnen damit wieder eine Chance, Anteile an einer berühmten Firma zu ergattern, die sicheren Profit verspricht – allein im letzten Jahr 20 Millionen Dollar.

Dutzenden von Banken in Moskau, Sankt Petersburg und Jekaterinburg werden die leckeren Anteile nach dem „Wer zuerst kommt mahlt zuerst“-Prinzip angeboten. Die Verlierer haben einen Trost: Nicht nur der Umfang dieser Auktion verspricht auf dem russischen Aktienmarkt neue Maßstäbe zu setzen, sondern auch die bislang unübliche Transparenz. Interessenten bekommen einen auf Hochglanzpapier gedruckten Geschäftsbericht. Der liefert – unerhört für ein russisches Unternehmen – außer der Bilanz eine Einschätzung der Risiken, dazu die Liste der bisherigen Top-Aktionäre. Da überwindet selbst Roter-Oktober-Präsident Anatoli Daurski die in seinen Kreisen übliche Schamhaftigkeit und gibt seinen Einprozentanteil zu.

Während der Snickers-Revolution waren die in romantisch bedruckte Papierchen gewickelten „tolpatschigen Bärchen“ und „Krebshälschen“ der Firma in Moskau kaum mehr zu orten. Jetzt sind die reich gefüllten Pralinen wieder da. Die kulturell spezifische Süßigkeitensucht der RussInnen war durch westliche Produkte auf Dauer nicht zu stillen. Die allgemein akzeptierte Erklärung lautet: „Unsere Pralinen sind ökologisch reiner.“ Die Gewinne aus der Geldauktion sollen in die Modernisierung der Produktionsmittel, eine Kette hauseigener Läden und ein neues Zweigwerk in Kolomna gesteckt werden.