Russischer Luftangriff auf Gorsnij

■ Jelzins Ultimatum an Tschetschenien abgelaufen / In der Nachbarrepublik Nordossetien laufen die Vorbereitungen zur Intervention auf Hochtouren

Moskau (taz) – Die russische Regierung macht Ernst. Nach Ablauf des Ultimatums an den tschetschenischen Präsidenten Dschohar Dudajew um 6 Uhr gestern früh griffen laut Angaben der Regierungsseite zwei russische Kampfflugzeuge Vororte und den Flughafen der Hauptstadt Grosnij an. Zwei Frauen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Ein Eingreifen russischer Truppen, darin sind sich Opposition wie Regierung einig, sei nur noch eine Sache der Zeit. In Wladikaskas, der Hauptstadt der Nachbarrepublik Nordossetien, laufen Vorbereitungen für die Intervention auf Hochtouren. Dutzende Militärflugzeuge brachten in der Nacht zu Donnerstag schweres Gerät und Bodentruppen in die 100 Kilometer von Grosnij entfernte Stadt.

In einem Anflug von Galgenhumor hatte der ehemalige Generalmajor der Luftstreitkräfte, Dudajew, am Vortag nach dem mittlerweile als sicher geltenden Angriff russischer Flieger seinem ehemaligen „Kameraden“ Kommandeur Denejkin ein Telegramm geschickt: „Ich gratuliere Ihnen und der Luftwaffe der Russischen Föderation zu Ihrem letzten Sieg, in dem Sie die Lufthoheit über die Republik Tschetschenien gewonnen haben. Wir treffen uns auf dem Boden wieder.“ Bisher hat Rußland, wie von Dudajew gefordert, seine Beteiligung an den Kampfhandlungen auf seiten der Opposition nicht eingestanden.

Indirekt wagte sich Jelzin jetzt einen Schritt vor. In einer Stellungnahme des Kreml heißt es: „Der Präsident teilt mit ganzem Herzen die Sorgen der Verwandten der russischen Soldaten, die in Tschetschenien als Geiseln festgehalten werden.“ Bisher kursierte die offizielle Version, bei den Geiseln handle es sich um gedungene Söldner. Es ist jedoch fraglich, ob dieses vorsichtige Eingeständnis in Grosnij honoriert wird. Zur Zeit hält sich eine Delegation des russischen Parlaments in Tschetschenien auf, die darauf hofft, einige Gefangene auslösen zu können. Inwieweit sie im Auftrag Jelzins handelt, blieb unklar. Vizepremier Viktor Tschernomyrdin kündigte andererseits Gesprächsbereitschaft an, die in Grosnij aber wohl nur als ein taktischer Zeitgewinn gewertet wurde. „Nach der Verfassung entscheidet der Präsident im Falle eines Ausnahmezustandes den Einsatz der Streitkräfte, und wenn ein derartiger Befehl kommt, wird die Armee ihn ausführen“, meinte Verteidigungsminister Pawel Gratschow. Er weiß, daß der Armee ein verlustreicher Partisanenkrieg bevorsteht. Im Nachsatz wandte er sich denn auch an die Bevölkerung Tschetscheniens: „Ich sage es Ihnen offen, wenn die Armee eingreift, bedeutet das nicht, daß sie gegen das tschetschenische Volk kämpft.“ Der Eindruck wird sich sehr schwer widerlegen lassen. Klaus-Helge Donath

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