Sammelsurium aus dem Baukatalog

■ Der Rossi-Block an der Schützenstraße im Bezirk Mitte geht in die Realisierung / Theaterkulissen mit Stadtbildern

Daß der italienische Architekt Aldo Rossi nicht nur ein Meister des postmodernen Bauens ist, sondern auch ein großer Schelm voller Ironie und Witz, signalisiert sein Entwurf (gemeinsam mit den Berliner Architekten Götz Bellmann und Walter Böhm) für den sogenannten „Rossi-Block“, der gerade auf dem Grundstück Schützen-/Markgrafen-/Zimmer-/Charlottenstraße in die Realisierung geht. Die Planung für Wohnungen, Büros, Gewerbe, Einzelhandel und einer Tiefgarage auf insgesamt 37.000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche umfaßt das gesamte historische Karree im einstigen Zeitungsviertel der Stadt.

Wo es heute auf der abgeräumten Brache staubt, hatte sich bis 1939 eine vier- bis fünfgeschossige Gründerzeitbebauung gehalten. Nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs und den Abrissen entlang der Mauer blieben allein die Reste einer Likörfabrik mit backsteinrotem Schornstein und zwei Wohngebäude: die Häuser Schützenstraße 10 und 11/12.

Auf den ersten Blick erweist sich Aldo Rossis Masterplan für den rundum geschlossenen Block als nichts Umgewöhnliches. Fast nostalgisch betont er die historischen Straßenfluchten, die einstigen Parzellen werden zum Teil wiederbelebt und im Innern des Rechtecks entstehen vier begrünte Höfe.

Die verbliebenen Bauten werden in die neue Struktur aufgenommen. Schließlich respektieren beinahe alle Neubauten die Berliner Traufhöhe. Doch Rossis Entwurf folgt in Wirklichkeit keiner festgelegten Ästhetik, geschweige denn einer reinen Zweckdienlichkeit: Vielmehr nimmt der Italiener die Figur des Blocks, wie sie derzeit überall in der Friedrichstraße fast schematisch entwickelt wird, zum Anlaß, lustige Phantasmagorien einer städtischen Struktur in wechselnden Architektursprachen, nämlich historisierend und modern, zu schaffen. Die zwölf Gebäude, hinter deren Fassaden „im Prinzip“ (Bellmann) eigenständige Einzelbauten stecken, bilden ein Sammelsurium unterschiedlichster Häuser mit den verschiedensten Kulissen, die ganz bewußt Theater spielen. Von Wiederaufbausehnsucht, preußischer Einheitlichkeit und dem ewig rechten Winkel findet sich hier keine Spur. „Der Block“, erklärt Aldo Rossi seinen Entwurf, „kann praktisch wie eine Gesamtheit von Fragmenten betrachtet werden, die gleichzeitig Fragmente der Vergangenheit und der Zukunft sind“.

Rossis Spieltrieb mit dem Baukatalog, der Kunstgeschichte und den Stadtbildern bricht den Block jedoch nicht auseinander. Die Zitatencollage aus italienischen Villen, barocken Palais, klassizistisch- strengen Kasernen und modernen Wohnbau-Reminiszensen wird zusammengehalten von immer wieder eingeschobenen Gebäuden aus Stahl, die wie eine „neue“ Klammer die „alten“ Bruchstücke festhalten. Rossi überwindet auch auf eine ironische Weise die Berliner Höhenbegrenzung von 22 Meter, indem er an zwei Stellen mittelalterlich gefärbte Türme über die typische Traufe hinauswachsen läßt. „Es ist kein Versuch, die gotische Stadt wiedererstehen zu lassen“, sagt Rossi, „sondern Alternativen zur gewöhnlichen Baupraxis zu bieten“. Vielfalt und Fiktion statt eine Form sollen versucht werden.

Hinter den Fassaden herrscht jedoch nur „die halbe Ehrlichkeit“, räumt Götz Bellmann ein. Zwar werden die Bauten als „funktionierende Einheiten errichtet“, die gemeinsame Tiefgarage und Verbindungen zwischen den Bauteilen weisen aber auf eine großflächigere Nutzung hin, die dem Investor Kottmair wohl geschuldet ist. Auch der backsteinrote Schornstein der ehemaligen Likörfabrik, den Rossi als Erinnerungszeichen an die heroische Zeit der Fabrikarchitekturen erhalten wollte, ist erst einmal abgeräumt worden. Auch er könnte einmal als „halbe Ehrlichkeit“ wiedererstehen. „Der Schornstein war aufgrund seiner Baufälligkeit nicht zu halten“, erklärt Bellmann, „das Fundament war kaputt.“ Immerhin „könnte“ er unter Verwendung der alten Steine wieder aufgebaut werden. Das sei so „angedacht“. Eine Garantie, daß der Fabrikschlot in das Ensemble miteinbezogen werden soll, wollte der Architekt nicht geben. Der Schornstein war nicht denkmalgeschützt. Rolf Lautenschläger