■ Licht & Schatten
: Alte und neue Rätsel

Arturo Pérez-Reverte: „Das Geheimnis der schwarzen Dame“, Rowohlt, 365 S., geb. 45 Mark.

Historien-Krimis haben einen Vorteil: Sie besitzen eine Komponente, nämlich die „fremde“ Zeit in der sie spielen, die an sich schon geheimnisvoll genug ist. Wenn es einem Autor aber gelingt, ein orginelles Rätsel zu entwerfen, das die Historie mit der Gegenwart verknüpft, kann eigentlich nichts schiefgehen. Dem spanischen Journalisten und Schriftsteller Arturo Pérez-Reverte ist mit seinem Schachkrimi „Das Geheimnis der schwarzen Dame“ (La tabla de Flandes) sogar ein kleines Meisterwerk gelungen. Die Hauptrolle in dem Buch spielt das flämische Tafelbild „Die Schachpartie“, von Pieter Van Huys im Jahre 1471 auf Holz gemalt.

Hauptmotiv sind zwei Ritter, die sich, in eine Partie vertieft, an einem Schachbrett gegenübersitzen. Etwas im Hintergrund, vor einem gotischen Fenster, sitzt eine schwarzgekleidete Dame und liest in einem Buch. Als die junge Restauratorin Julia den Auftrag bekommt, das Gemälde zu säubern und auszubessern, macht sie eine interessante Entdeckung. Auf einer Röntgenaufnahme, die sie von dem Bild anfertigen läßt, ist eine Inschrift zu sehen, die anscheinend vom Künstler selbst übermalt wurde. In gotischen Lettern ist da zu lesen: „Quis necavit equitem? – Wer tötete den Ritter?“ Julia ist fasziniert und bittet einen befreundeten Kunsthistoriker um Hintergrundmaterial zu dem Gemälde. Kurz darauf wird der Mann ermordet. Doch seine Expertise war fertig und wird Julia zugespielt. Aus der geht hervor, daß auch einer der dargestellten Schachspieler eines ebenso gewaltsamen wie geheimnisvollen Todes starb. Jetzt steht Julia vor einem Rätsel, das vor 500 Jahren begann und noch heute Opfer fordert. Sie kommt bald dahinter, daß der Maler den Mörder des Ritters gekannt haben muß und seinen Namen in der Schachpartie (Ritter = Springer) verborgen hat. So versucht die Restauratorin mit Hilfe eines Schachmeisters die dargestellte Partie rückwärts zu spielen. Ein gefährliches Spiel...

Pérez-Reverte wurde für seinen intelligenten Krimi 1993 in Frankreich mit dem renommierten „Grand Prix de la Littérature Policiere“ ausgezeichnet, völlig zu Recht, denn anspruchsvolle Kriminalromane wie „Das Geheimnis der schwarzen Dame“ sind rar. Und keine Angst, es erhöht zwar den Adrenalinausstoß beim Lesen, wenn man etwas von Schach versteht, aber wer nur die Grundzüge des Spiels kennt, kommt auch auf seine Kosten.

Jonathan Kellerman: „Exit“, Scherz, 340 S., geb. 39,80 Mark

Medizin-Thriller sind meist ziemlich öde Angelegenheiten. Gute Götter in Weiß, böse Götter in Weiß, hilflose Patienten, meuchelnde Nachtschwestern usw. usf. Jonathan Kellerman, amerikanischer Psychologe, schreibt seit zehn Jahren Medizin-Thriller. Die genannten Klischees sucht man bei ihm jedoch vergeblich. In seinem neuen Buch „Exit“ bekommt es sein Held, der Kinderpsychologe Dr. Alex Delaware, wieder einmal mit Kindesmißhandlung zu tun, und zwar mit einer heimtückischen Note dieses Verbrechens: Ein knapp zweijähriges Mädchen wird immer wieder, mit den unterschiedlichsten Krankheiten in die Klinik eingewiesen. Delaware diagnostiziert schließlich ein Münchhausen- Syndrom alias Pseudologia phantastica alias Simulationssucht — eine Form krankhaften Lügens. Doch das Kind ist einfach zu klein, um sich selbst etwas anzutun. Delaware erkennt, daß „das, was wir hier vor uns hatten, jenseits allen Mitleids war. Dies war die böse Variante: übertragener Münchhausen, Münchhausen per Stellvertreter. Eltern — meistens die Mütter — täuschen Erkrankungen ihres eigenen Nachwuchses vor“. Die Eltern hatten schon ihr erstes Baby durch rätselhafte Krankenheiten verloren. Doch die Mutter reagiert, wie eine liebende Mutter eben reagiert, wenn ihr Kind schwer krank ist. Sie ist völlig aufgelöst und sorgt sich rührend um die Kleine. Der Vater vielleicht? Nein, auch hier nichts Verdächtiges. Oder ist das mit dem Münchhausen alles Quatsch und das Mädchen ist wirklich todkrank? Delawares Weg durch dieses Rätsel wird von Kellerman mit viel psychologischer Raffinesse, also spannend, erzählt. Was ein wenig stört, ist der zweite Handlungsstrang, in dem eine große Intrige aufgeklärt wird und in dem Kellerman wieder einmal seine durchaus lobenswerte Kritik am modernen Krankenhaussystem unterbringt. Karl Wegmann