■ Der US-Kongreß segnet den Gatt-Vertrag ab: Eine enorme Veränderung der Welt
Der Gatt-Vertrag, jubelt das Wall Street Journal, „verkörpert den Triumph der freien Marktwirtschaft“. Tatsächlich war der Handel weltweit noch nie so liberal organisiert, wie er es ab 1. Januar sein wird. Interessanterweise ist die Ratifizierung des Vertrags nirgendwo in den 123 Gatt-Staaten so umstritten gewesen wie ausgerechnet in den USA – dem Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg in immer neuen Gatt- Verhandlungsrunden die Handelsliberalisierung erst durchgesetzt hat. Nach Spielregeln, die für alle gleich sind, birgt Freihandel für Industrieländer, die das Recht des Stärkeren durchzusetzen gewöhnt waren, auch Nachteile. Textilarbeiterinnen und Bauern aus Industrieländern etwa werden es nicht als Trost empfinden, daß High-Tech-Werker aller Art demnächst besser verdienen, während ihre eigenen Arbeitsplätze in ein Schwellenland abwandern – und dort den einen oder die andere aus Armut befreien.
Andererseits hat sich im Zeitraum der Uruguay- Runde gezeigt, daß auch das Modell Japan – aggressiv exportieren und die eigenen Grenzen für Importe fest verschlossen halten – nicht auf Dauer funktionieren kann: Das absurd hohe Niveau der Verbraucherpreise ist nicht mehr zu rechtfertigen; und die Abnehmerländer der Exportprodukte drohen ihrerseits mit Einfuhrbeschränkungen. Entsprechend unspektakulär verlief gestern in Japan die Gatt-Ratifizierung, auch wenn die darin enthaltene Öffnung der Reismärkte einer Sensation gleichkommt. Der Gatt-Vertrag wird die Weltbevölkerung als Ganze reicher machen. Insofern ist er ein „Triumph der Marktwirtschaft“, der allerdings gleichzeitig die Welt enorm verändern wird: Der Wettbewerb wird weit weniger als heute zwischen Volkswirtschaften ausgetragen als zwischen einzelnen Unternehmen, zwischen Standorten und den verschiedenen Arbeitsbevölkerungen.
Am wenigsten auf die Freihandelsrevolution vorbereitet sind die Industrieländer, in denen das wahrlich nicht neue Phänomen der Dauerarbeitslosigkeit Niedrigqualifizierter weiter zunehmen wird. Befriedigende Konzepte gegen den Rückimport von Arbeitslosigkeit gibt es weder in Europa noch in den USA. Ein schlichtes Zurück zum Protektionismus würde aber, siehe Japan, schon heute nicht mehr funktionieren. Die Vereinbarung zwischen Dole und Clinton, aus dem Vertrag notfalls wieder auszusteigen, zeigt sich angesichts dieser Dimensionen als das, was sie ist: eine hilflose Geste. Donata Riedel
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