Sozialismus mit Straßenbahn

Die Bürgermeisterin von Straßburg gewinnt mit ihrem Kampf gegen den Autoverkehr die Wahlen  ■ Von Florian Marten

Hamburg (taz) – Volksfest am 1. Advent: 34 Jahre nachdem die letzten Straßenbahnen in Straßburg öffentlich verbrannt wurden, rollen sie wieder. 13 Kilometer lang ist die völlig neu gebaute Strecke. Für die altehrwürdige Stadt an Ill und Rhein bricht ein neues Verkehrszeitalter an. Straßenbahn, Elektroautos, Fahrräder und Fußgänger haben in der bis vor kurzem noch radikal vom Auto beherrschten 250.000-Einwohner- Stadt plötzlich Vorrang. Der Autoverkehr soll von seinen bis vor kurzem 75 Prozent Anteil am Stadtverkehr auf weit unter 50 Prozent gedrückt werden.

Straßburgs Oberbürgemeisterin Cathérine Trautmann sagt: „Wir konnten gar nicht anders handeln. Die Innenstadt drohte zu ersticken. Wir durften nicht zulassen, daß der Individualverkehr die Stadt erdrosselt.“ Die neue High- Tech-Bahn durch die Stadt leitet eine radikale verkehrspolitische Wende in der bis 1989 von konservativen Auto-Politikern regierten Stadt ein.

Heute ist die Innenstadt für den Durchgangsverkehr unpassierbar, der Bahnhofsvorplatz wurde zum Eldorado sanfter, umweltfreundlicher Verkehrsmittel, der zentrale Place Kléber ist autofrei. Das neue Verkehrskonzept baut auf Stadtbahn und Busse mit verlockend niedrigen Tarifen, auf Fahrradwege, auf ausgedehnte Fußgängerzonen, und schließlich auch auf die städtisch geförderten Elektroautos. Mehr noch als die verkehrspolitische Wende setzt aber Straßburg durch ein politisches Märchen Zeichen. Es handelt von einer Politikerin, die eine ökologische Wende verspricht, dafür gewählt wird, heftigsten Widerstand der Mächtigen erfährt, und dennoch Wort hält: Nachdem Straßburg in den 70er und 80er Jahren unter seinen patriarchalen Bürgermeistern vergeblich über einen Ausweg aus dem Stadtverkehrschaos sinniert hatte, kam es 1989 zu einem denkwürdigen Duell: Die Sozialistin Cathérine Trautmann forderte den konservativen Amtsinhaber Marcel Rudloff mit dem Ideenkonzept „Tramway“ heraus. Sie gewann obwohl Rudloff in letzter Sekunde mit einem Projekt „U-Bahn“ konterte. Die StraßburgerInnen entschieden an der Wahlurne für Trautmann und die Tram. Es folgte eine beispiellose verkehrspolitische Energieleistung. Bereits 1991, nur zwei Jahre nach der Wahl, waren die Pläne fix und fertig, begannen die Bauarbeiten. Für Trautmann und ihren Mitarbeiterstab stand fest: Die Tram muß vor Ablauf ihrer Amtsperiode im Juni 1995 fahren. Roland Ries, Trautmann-Vize und Chef des 600 Millionen Mark teuren Tramprojektes, das unter anderem durch eine Unternehmensabgabe für den Nahverkehr finanziert wird: „Wenn die Straßenbahn erst einmal fährt, werden die Leute zufrieden sein.“

Und tatsächlich: Die jüngsten Umfrageergebnisse deuten auf den nächsten Sieg Cathérine Trautmanns im Juni 1995 hin. Vor wenigen Monaten sah das noch ganz anders aus. Politiker, Lokalpresse und Lobby der Handelskammer hatten Trautmann und die Tram in Mißkredit gebracht. So tönte beispielsweise der konservative Harry Lapp, Abgeordneter der französischen Nationalkammer: „Die Leichtfertigkeit dieser Sozialistin zerstört die Straßburger Wirtschaft im Schnellzugtempo.“ Und Christian Danner, Präsident der örtlichen Handelskammer, resümierte erzürnt: „Die Straßenbahn ist ein wirtschaftliches Desaster.“

Was Wirtschaft und Politiker so sehr ärgerte, war jedoch weniger die Trambahn, als das mit ihr verbundene Anti-Auto-Verkehrskonzept. Als dann auch noch der auserkorene Stadtbahnlieferant, die italienische Socimi, vor der Auslieferung des ersten Fahrzeuges Konkurs ging und der Bürgerzorn über die Unannehmlichkeiten der Bauphase seinen Höhepunkt erreichte, war die Popularität der Bürgermeisterin auf dem Tiefpunkt angelangt. „Am vergangenen Wochenende war davon nichts mehr zu spüren. Die futuristisch designten Niederflurstadtbahnen begeisterten die Bevölkerung noch mehr als das Volksfest ringsherum. Schon bald, wenn alle 26 Fahrzeuggarnituren der Firma ABB ausgeliefert sind, wird die Straßburger Verkehrsgesellschaft CTS den 5-Minuten- Takt einführen. Damit knüpft die CTS an ihre glorreiche Vergangenheit an: Das Straßenbahnstreckennetz war 1913 über 200 Kilometer lang, reichte von Offenburg bis in die Vogesen, und diente auch dem Güterverkehr diente, verfügte Straßburg über eines der größten Straßenbahnnetze der Welt.

Allerdings: Das Konzept der badischen Nachbarstadt Karlsruhe, die ihre Straßenbahn inzwischen auf Bundesbahnschienen fahren läßt und so zum Regionalverkehrsmittel adelte, ist in Frankreich noch nicht zu verwirklichen. Für die französischen Staatsbahner der SCNF ist es derzeit undenkbar, kommunale Straßenbahnen auf ihren Schienen rollen zu lassen.

Cathérine Trautmann hat den Wahlkampf für ihre Wiederwahl bereits eröffnet: Sollte sie es im Juni 1995 schaffen, so verspricht sie, werde bis zum Jahr 2000 eine zweite Linie geben, die dann auch das Universitäts- und Studentenviertel an der „Esplanade“ erschließt.