Die Verschiebung des Konsenses

■ Die sechs Tornados, die die Nato von Deutschland angefordert hat, sollen - so heißt es - einen möglichen Abzug der Blauhelme aus Bosnien decken, aber der ist unwahrscheinlich. Kann es sein, daß die Debatte..

Die sechs Tornados, die die Nato von Deutschland angefordert hat, sollen – so heißt es – einen möglichen Abzug der Blauhelme aus Bosnien decken, aber der ist unwahrscheinlich. Kann es sein, daß die Debatte ganz anderen Zielen dient?

Die Verschiebung des Konsenses

Die Nato ist in der schwersten Krise ihrer Geschichte. In Ex-Jugoslawien, dem ersten großen europäischen Konfliktherd nach der „Zeitenwende“ von 1989/90, ist die westliche Militärallianz kläglich gescheitert an den widersprüchlichen Interessen ihrer wichtigsten Mitgliedsstaaten. Und mit der Weigerung des russischen Außenministers Kosyrew, das Programm „Partnerschaft für den Frieden“ zu unterzeichnen, haben auch die Nato-Bemühungen zum Ausbau der Beziehungen mit den ehemaligen Feindstaaten einen erheblichen Dämpfer erhalten (siehe Seite 8).

Ein idealer Hintergrund, um die Optionen für den Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland erneut ein Stück zu erweitern – für den Fall, daß einmal tatsächlich deutsche Interessen militärisch durchgesetzt werden sollen. Denn vor allem um die Verschiebung des innenpolitischen Konsenses geht es bei der Debatte um einen Einsatz deutscher Tornados im Luftraum über Bosnien.

Die Lage ähnelt der vom Juli dieses Jahres. Damals feierte die Koalition die Entscheidung, mit der das Bundesverfassungsgericht den Out-of-area-Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland für grundgesetzkonform erklärte, als großen Sieg über die Opposition. Endlich, so tönten Kinkel, Rühe und Co. damals, könne Deutschland seine internationalen Verpflichtungen erfüllen. Es folgten dringende Anfragen der UNO und Frankreichs, Soldaten für Operationen in Ruanda und anderswo abzustellen. Doch sie wurden von Bonn abschlägig beschieden. Es lag kein deutsches Interesse vor.

Die Behauptung, die Nato sei auf Deutschland angewiesen, weil nur die Bundesluftwaffe über ECR-Tornados mit der speziellen Fähigkeit zur elektronischen Störung und Ausschaltung des Radars gegnerischer Boden-Abwehrraketenstellungen (Eletronic Combat Reconnaissance) verfüge, ist falsch. Auch die USA haben ECR- Tornados. Das ECR-System bietet keineswegs einen hundertprozentigen Schutz vor gegnerischen Boden-Luft-Raketen. Die beiden britischen Tornados, die letzte Woche von serbischen Flugabwehrraketen beschossen wurden und nur in letzter Sekunde ausweichen konnten, sollen ebenfalls mit dem ECR- System ausgestattet gewesen sein.

Völlig unklar ist das eventuelle Einsatzszenario für Tornados der Bundesluftwaffe im Luftraum über Ex-Jugoslawien. Luftangriffe auf Bodenziele der Serben in Bosnien oder Kroatien, für deren Verstärkung die USA ja noch bis letzte Woche vergeblich plädiert hatten, wurden nach dem jüngsten Schwenk in Washingtons Bosnien- Politik von den Außenministern der Nato inzwischen ja ausgeschlossen.

Die Überwachung des militärischen Flugverbots über Bosnien wurde von der Nato nach Angaben eines Unprofor-Sprechers bereits am Mittwoch eingestellt. Weitgehend konstruiert sind die Szenarien für einen massiven Nato-Einsatz zur Sicherung eines Abzugs der 22.000 Blauhelme aus Bosnien. Dieser steht auch nach der Pleite des Besuchs von UNO-Generalsekretär Butros Ghali in Sarajevo keineswegs auf der Tagesordnung. Selbst Frankreichs UNO-Botschafter schloß den Abzug der französischen Unprofor-Truppen aus, solange es nicht zu einer Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnische Regierung durch die USA kommt. Nach dem bisherigen Fahrplan von Administration und Kongreß in Washington wäre dies nicht vor Mitte April der Fall.

Und die Wahrscheinlichkeit für eine Aufhebung des Embargos ist nach dem jüngsten Schwenk in Präsident Clintons Bosnien-Politik rapide gesunken. Doch selbst wenn die Franzosen ihre 3.600 und die Briten ihre 3.300 Soldaten aus Bosnien abziehen würden, bedeutete dies keineswegs automatisch das Ende der Unprofor-Operation.

Malaysia (1.500 Soldaten) und Pakistan, das mit 3.090 Soldaten ein fast ebenso starkes Kontingent in Bosnien stationiert hat wie die Briten, wollen sich nicht zurückziehen. Andere Staaten des Südens, darunter eine Reihe islamischer Staaten, haben schon im Oktober 1993 Angebote für die Entsendung von insgesamt über 10.000 Soldaten gemacht.

Ob Scheindebatte oder reale Planung: für die serbische Konfliktseite macht dies keinen wesentlichen Unterschied. Die neue Bonner Differenzierung zwischen einem Einsatz deutscher Luftstreitkräfte und deutscher Bodentruppen ist ein Konstrukt. Wer behauptet, das erste sei für die serbische Seite akzeptabler als das zweite, hat aus der konfliktverschärfenden Rolle, die Deutschland seit der Anerkennungspolitik von Ex-Außenminister Genscher in der Jugoslawien-Krise gespielt hat, offenbar nichts gelernt. Andreas Zumach, New York