An die frische Luft gesetzt

■ Kirchentagsbesucher okkupieren im nächsten Juni 400 Schulen in der Unterrichtszeit / Prüfungen müssen verschoben werden Von Iris Schneider

Ein Großteil der rund 160.000 SchülerInnen an Hamburgs Allgemeinbildenden Schulen müssen im kommenden Juni drei Tage außerhalb der Schulgebäude unterrichtet werden. Der Grund: Etwa 80.000 KirchentagsbesucherInnen werden in ihren Klassenräumen einquartiert. Drei Wandertage? Die LehrerInnen hätten sicher genug Phantasie, um diese Zeit sinnvoll zu gestalten, äußerte sich Dieter Nowottny, Verwaltungsleiter des Amts für Schule zuversichtlich gegenüber der „Welt am Sonntag“. Eltern, LehrerInnen und SchulleiterInnen sind da weniger optimistisch.

Auslöser der Disharmonie an den Schulen ist der Zeitpunkt des 26. Deutschen Evangelischen Kirchentages, der 1995 vom 14. bis zum 18. Juni zum dritten Mal in Hamburg stattfindet. Das heißt: zwei Wochen vor den Sommerferien. 400 von 551 Grund-, Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien müssen ihre Gebäude als Übernachtungsstätten zur Verfügung stellen. Da der Unterricht an diesen Tagen nicht ausfallen soll, sind die Kollegien von der Schulaufsicht aufgefordert worden, die Betreuung und Belehrung der Kinder unter freiem Himmel sicherzustellen.

„Das ist nicht so fürchterlich witzig“, ist die Einschätzung einer Klassenlehrerin an der Schule Hasselbrook. Ihre Befürchtung: Wenn die betroffenen über 100.000 SchülerInnen der Allgemeinbildenden Schulen alle zur gleichen Zeit ausschwärmen, werden die „attraktiven Spielplätze überlaufen“ sein. In den Museen, den Naturfreundehäusern und anderen Einrichtungen, die sich für außerschulischen Unterricht anbieten, dürfte es kaum anders aussehen, schätzen auch die Elternvertreter die Lage kritisch ein. Hinzu kommt noch, daß durch die Großveranstaltung an einigen Schulen die Abschlußprüfungen für die 10. Klassen verschoben werden müssen.

Da stellt sich die Frage, warum der Kirchentag nicht an den Anfang der Ferien gelegt werden konnte. So wie das Deutsche Turnfest, das in diesem Jahr während der Hamburger Pfingstferien stattfand. Der Sprecher der Schulbehörde, Ulrich Vieluf, konnte dazu keine Auskunft geben. Das habe die Senatskanzlei mit den Organisatoren der kirchlichen Großveranstaltung so vereinbart. Aus der Senatskanzlei war gestern keine Stellungnahme zu dieser Frage zu erhalten. Auch bei der Nordelbischen Kirche herrschte adventliche Stille.

In der Schulbehörde sieht man die Gestaltung des Unterrichts an „außerschulischen Lernorten“, so Vieluf, aber in erster Linie als Haltungsfrage: „Hamburg will sich wieder als guter Gastgeber erweisen“, mit etwas gutem Willen ließen sich die entstehenden Probleme an den Schulen sicher lösen. Das Amt für Schule werde sich als Zentrale für die Koordination der verschiedenen außerschulischen Aktivitäten zur Verfügung stellen.

Wie wäre es, wenn die Evangelische Kirche, die als Motto für die Großveranstaltung „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist“ wählte, sich für die erwiesene Gastfreundschaft revanchiert und den LehrerInnen mit interessanten Projekten für SchülerInnen unter die Arme greift? Mit einem Workshop „Ich baue mir eine Orgel“ zum Beispiel.