Punkt 8: Männer verboten

■ Seit April wohnen substiuierte (Ex-)Prostiuierte zusammen / „Chaotischer Anfang“

An der Wand des unauffälligen Hauses hängt ein Bewegungsmelder gegen Freier. Aufdringliche Freier sind jedoch nur eines der Probleme des Wohnprojektes in der Frielinger Straße in Findorff. Im Protokoll der wöchentlichen Hausplena finden sich solche Eintragungen: X soll nur noch „nüchtern“ zu Plus gehen. Y soll nicht nachts rumschreien, gegen Türen treten und den Besuch der anderen anlabern. Seit einem halben Jahr wohnen zehn Frauen zusammen, die alle ähnliche Probleme haben: Sie sind methadon-substituiert, nehmen nebenher aber auch noch Kokain, Heroin, Alkohol oder Tabletten, und die meisten prostituieren sich weiterhin, wenn auch nicht mehr täglich. „Das erste Vierteljahr war chaotisch“, resümiert die Betreuerin Singe Kremer.

In diesem „Übergangswohn-Projekt“ des Trägers Kommunale Drogenpolitik / Verein für akzeptierende Drogenarbeit ist Platz für 10 der rund 50 Prostituierten vom zerschlagenen Drogenstrich in der Friesenstraße. Weitere 15 Plätze bietet der Träger Bremer Hilfe in zwei Projekten „Betreutes Wohnen“. „Betreutes Wohnen“ bedeutet dabei mehr Personal und auch mehr Kontrolle als „Übergangswohnen“.

Intern war das Projekt in der Frielinger Straße von Anfang an umstritten: Reicht die personelle Ausstattung von jeweils einer Betreuerin im Haus überhaupt aus? Macht es Sinn, zehn Frauen mit der gleichen Problematik in ein Haus zusammenzulegen? Der erste Zwischenbericht der Betreuerinnen, eigentlich nur bestimmt für die Bremer „Fachöffentlichkeit“, scheint den ZweiflerInnen recht zu geben. Mit der Vielzahl der Probleme scheinen die Betreuerinnen überfordert.

Für Diskussion sorgt jedoch allein schon die Art der Darstellung der Probleme: Die Mitarbeiterinnen haben unaufgeräumte Bewohnerinnenzimmer fotografiert. Da liegen Toastscheiben auf dem Boden, ein unbenutzter Tampon neben einem angekauten Baguette... Die Betreuerinnen sagen, sie hätten damit den Zustand der Frauen dokumentieren wollen, die nach zum Teil jahrelanger Obdachlosigkeit einfach verlernt hätten, zu wohnen. Außerdem wollten sie damit an die geldgebende senatorische Dienststelle appellieren, den Personalschlüssel zu erhöhen. Die habe stattdessen aber nun angedroht, ab Februar die Nachtbetreuung zu streichen – dabei klappten die Frauen oft gerade in der Nacht zusammen, weil sie zum Beispiel zum Methadon noch Barbiturate schluckten.

Doch auch der Geschäftsführer Heino Stöver von der Kommunalen Drogenpolitik hat seine Zweifel an dieser Art der Darstellung: „Haben wir damit nicht vor allem unsere eigenen Mittelschichtsvorstellungen vom Wohnen dokumentiert?“ Härter argumentiert ein Teil der sogenannten „Fachöffentlichkeit“: „Solche Bilder sind einfach denunzierend“. Außerdem hätten die Bewohnerinnen Mietverträge und damit auch Rechte über ihre Zimmer. Eine ganz grundsätzliche Kritik an diesem Wohnprojekt lautet so: Wer hat überhaupt das Recht, die Wohnungsnot dieser Frauen auszunutzen und ihr Leben zu bestimmen? Tausende von Menschen mit allen möglichen Problemen hätten eine eigene Wohnung, wird argumentiert. Daß die Drogenabhängigen sich täglich in lebensbedrohliche Situationen brächten, könne auch betreutes Wohnen nicht verhindern. „Waren denn 20 Jahre Diskussion über die Macht von Sozialarbeit umsonst?“

Kritisiert wird vor allem die Hausordnung: Unter Punkt 8 werden Männerbesuche verboten, unter Punkt 9 werden die Bewohnerinnen verpflichtet, Läusebefall sofort zu melden. Abmahnung und Kündigung drohen bei Diebstahl, Dealen, Prostitution und Gewalt. Zwei Frauen mußten wegen solcher Vergehen bereits ausziehen.

Doch die beiden festangestellten Betreuerinnen Beate Brüsehoff und Singe Kremer verteidigen die Hausordnung: Gerade das Verbot von Männerbesuch hätten auch die Bewohnerinnen gefordert – um einen Schutzraum zu haben. Mittlerweile dürfen feste Freunde übers Wochenende bleiben. An zwei Tagen in der Woche ist angemeldeter Männerbesuch bis 22 Uhr erlaubt. In dem Maße, wie sich die Frauen von der Prostitution distanzieren, soll auch die Besuchsregelung gelockert werden. Das ist für die meisten noch Utopie.

Erfolge sehen die Mitarbeiterinnen trotzdem: Dank Methdaon stünden die Frauen nicht mehr so unter Beschaffungsdruck, müßten also nicht mehr zu jedem Freier ins Auto steigen. „Diese kleinen Schritte sind für viele Frauen von enormer Bedeutung, das bedeutet nämlich auch weniger Risiko“, sagt Heino Stöver. Ohne Gummi – dieses Angebot muß keine mehr annehmen. Mittlerweile haben die Frauen auch eher Stammfreier.

Einst war die „Kommunale Drogenpolitik“ als Alternative zur Bremer Hilfe angetreten. Was aber ist an solch einem Haus mit diesem Reglement noch alternativ, fragen die KritikerInnen. Nun, sagt Heino Stöver, im Unterschied zum Projekt in der Frielinger Straße sei in den beiden Frauenwohnprojekten der Bremer Hilfe Beigebrauch verboten, es gebe nur Tagesmietverträge, der Träger könne also leichter kündigen. Kein Wunder also, so Stöver, daß diese beiden Häuser nur zur Hälfte ausgelastet seien. Das eigene Haus dagegen, das mehr Freiheiten biete, habe eine Warteliste von sechs Frauen. Hier verliere man eben nicht seinen Wohnplatz, wenn man keine Lust auf Beratung habe.

Trotzdem, geben die Mitarbeiterinnen unumwunden zu, würden die Bewohnerinnen natürlich noch viel lieber eigenständig wohnen. Nur sei das eben jetzt noch unrealistisch. Zumal keine Wohnungen zu finden seien. Zwar haben die Wohnungsgesellschaften ein Kontingent für 50 Notstandsfälle zugesagt, nehmen auch alleinstehende Wohnungslose, stellen sich jedoch quer bei Drogenabhängigen. Die will man nur, wenn sie gleichzeitig ambulant betreut werden. Nun arbeitet die „Kommunale Drogenpolitik“ an einem Konzept für die ambulante Betreuung von selbständig wohnenden süchtigen Frauen. cis