3000 Sternlein ohne Klavier

■ Olbers-Planetarium wird weltoffen: Brückenschlag zwischen Astronomie und Kultur

Kindervorstellungen, Multimedia- Spektakel und Kulturprogram sind in Zeiten knallharter Marktwirtschaft die neuen Standbeine der großen Plantarien. Auch im Olbers-Planetarium am Fachbereich Nautik der Hochschule Bremen sind seit einiger Zeit nicht nur Astronomen und Astrologen aktiv. Allerdings auf einer anderen Ebene. ,,Geld läßt sich mit einem Planetarium unserer Größe nicht verdienen,“ schränkt Planetariumsleiter Dieter Vornholz gleich ein.

Mit Sternenspektakel dazuzuverdienen, wo die Förderung nicht ausreicht, ist bei einem Raum mit maximal vierzig Zuschauerplätzen nicht drin. Beim Deckenlicht verbreitet das rote Holzrund aus Stühlen einen spröden Fünfziger-Jahre- Charme. Im Zentrum des Raumes ohne Ecken, einer Wunderwaffe aus einem James-Bond-Film nicht unähnlich: der Projektor. Auf der Welt ist nur noch ein dienstälteres Exempal dieses DDR-Qualitätsprodukt im Einsatz. Zuverlässig, aber nicht rechnergesteuert. Macht nichts, Vornholz ist gern dabei, wenn es darum geht, den Kunsthimmel gegen “Pflichtspende“ als Hintergrund für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen.

,,Es ist enorm wichtig, in Kontakt zu kommen,“ erklärt der Planetariumsleiter sein Engagement und den Versuch seine Dunkelkammer nach Dienstschluß mit kulturellem Leben zu erfüllen. Seit der Übernahme der Plantariumsleitung 1990 versucht Vornholz, das Plantarium jenseits der naturwissenschaftlichen Isolation als Schnittstelle in der Öffentlichkeit zu etablieren. Das entspricht zwar nicht gerade den Gepflogenheiten des teutonischen Wissenschafts- Establishments. Für Vornholz sind aber andere Vorbild: ,,Bei der Sonnenfinsternis in Mexiko 1991 war es selbstverständlich, daß sich Astronomen, Ethnologen und Folkloregruppen gemeinsam mit diesem Phänomen auseinandergesetzt haben. Allein haben die Naturwissenschaften bei der Beantwortung der Sinnfrage doch versagt.“

Sein Ansatz: seine eigentümlichen Räumlichkeiten wagemutigen Veranstaltern oder Künstlern, die ihre Auftritte selbst organisieren, zur Verlügung zu stellen. Natürlich ist die Art des Kulturbetriebes eingegrenzt. Teure Gagen können wegen der geringen Zuschauerkapazität auch bei mehreren Vorstellungen pro Abend nicht gezahlt werden. Und nicht jede Art der Kultur taugt tür dieses fremdartige Ambiente.

Wenn Hille Darjes aber jenseits der Shakespeare-Company atmosphärische Lesungen hält, ist der Raum dafür wie geschaffen. Wenn jemand, wie sie, das zu Rezitierende gar auswendig gelernt hat, kann sogar ganz auf das trübe Rotlicht als einzige Lichtquelle verzichtet werden, der technische Aufwand geht gegen Null. Musikveranstaltungen sind da problematischer – aber durchaus möglich, wie etwa Gerhard Kissels Vorträge mit der Sitar beweisen. Bei der Musikauswahl ist Jazzfreund Vornholz flexibel: ,,Welche Art von Kunst da gemacht wird, ist mir egal, ob das nun Kammermusik, Klassik oder Sitar ist.“ Präferenzen privater Art spielen keine Rolle, obwohl die meisten Veranstaltungen bislang über persönliche Kontakte und einen regen Bekanntenkreis liefen.

,,Drei Mann, würd' ich sagen, mehr darf eine Gruppe nicht haben,“ sagt der Planetarier. ,,Wo sollen die sonst hin? Und Klavier geht, glaub' ich, gar nicht.“ Schließich stehen tür Instrumente, Akteure und Publikum knappe dreißig Quadratmeter zur Verfügung – manche Wohnküche hat mehr Bühnenraum. Aber keinen Sternenhimmel an der Decke. Die Firmament-Projektion ist das große Plus des Planetariums, die Atmosphäre beeindruckend: Dunkelheit, absolute Stille, das Gefühl, nach oben in eine riesige Weite zu blicken, in der dreitausend Sternlein blitzen – zehn Mal mehr als in Wirklichkeit am trüben Bremer Himmel sichtbar. All das läßt vergessen, daß es draußen heller Tag ist, der Verkehr rauscht. Die ungewöhnliche, aber intensive Atmosphäre ist auch für die Künstler Neuland: ,,Viele trauen sich nicht, bei völliger Dunkelheit aufzutreten. Die wissen nicht, was sie erwartet,“ erklärt Vornholz Berührungsängste. Dabei eröffnet das Wechselspiel von künstlicher Sternenkonstellation und Musik, verbunden mit dem viel intensiveren Hörerlebnis des abgeschotteten, runden Raumes, interessante Perspektive tür Wagemutige. Manche Künstler wie der Bremer Obertonsänger Schimmelpfeng sprechen mit Vornholz zu zeigende Sternkonstellationen vorher ab; während Schimmelpfengs Vortrag erscheinen, fein abgestimmt, nacheinander die zwölf Konstellationen des Tierkreiszeichens.

Das Resultat ist eine innovative Symbiose aus Raum, Licht und Klang. Die Resonanz auf das ungewohnte Kulturambiente ist, so Vornholz, positiv: ,,Nach Veranstaltungen wollen viele gar nicht gehen, stellen Fragen, was sie denn gesehen haben.“ Dann hat der Planetariumsleiter sein Ziel erreicht: Interaktion, der Brückenschlag zwischen Naturwissenschaft und Kunst. ,,Wenn Leute, die wegen der Obertonmusik da waren, astronomische Fragen stellen, dann werden Perspektiven zusammengebracht.“ Lars Reppesgaard