piwik no script img

Wenn Spaltanlagenwärter „wegfallen“

Entwurf Doppelhaushalt 95/96: Schulden steigen dennoch auf 51 Milliarden Mark / Trotzdem zeigen Politiker keine Hemmungen beim Abkassieren / Schummelei beim Stellenabbau  ■ Von Dirk Wildt

Was macht Senator Herwig Haase (CDU) mit elf Spaltanlagenwärtern? Die ehemaligen Gasag-Arbeiter werden seit der Umwandlung vom Eigenbetrieb in eine Anstalt des öffentlichen Rechts seit letztem Jahr nicht mehr gebraucht. Und seitdem ist Haase als Betriebesenator für das Wohl der Wärter und 89 anderer Kollegen, deren Stellen bei der Gasag, den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) und der Stadtreinigung „weggefallen“ sind, verantwortlich. Die Eigenbetriebler ohne Verwendung kosten 1995 und 1996 fast 14 Millionen Mark. Aber was sind schon 14 Millionen im Vergleich zu 14 Milliarden Mark Personalausgaben, die das Land Berlin im kommenden Jahr ohnehin aufbringen wird.

Aber muß der Verkehrssenator etwa wegen der Spaltanlagenwärter so rabiat bei der BVG abkassieren? Nicht nur, daß der allgemeine Zuschuß von 1,6 Milliarden in 1993 auf 970 Millionen Mark 1995 gekürzt wurde. Darüber hinaus bekommen die Arbeitslosenkarte ab Januar erstaunlicherweise nur noch die, die Arbeitslosenhilfe beziehen. Und die BVG muß neuerdings für ihre Bushaltestellen auf öffentlichem Straßenland zahlen. Allein für diese Gebühr klingeln 1995 und 1996 in Haases Kasse insgesamt 15 Millionen Mark.

Andere Kollegen aus dem Senat sind aber nicht weniger skrupellos. Finanzsenator Elmar Pieroth (CDU) will scheinbar die gesamte Stadt verkaufen. In den beiden kommenden Jahren sollen Landesbeteiligungen in Höhe von 1,3 Milliarden Mark veräußert und 270 Millionen Mark vor allem durch das Verschachern von Immobilien der Wohnungsbaugesellschaften erwirtschaftet werden. Der Verkauf sanierter Grundstücke soll 100 Millionen Mark bringen. Trotz des Pierothschen Zweckoptimismus reicht aber weder Ausverkauf noch alles Zusammengekratze: die Ausgaben von 43 und 44 Milliarden Mark 95/96 können nur durch neue Kredite gedeckt werden. 1995 leiht sich Berlin 6,75 und 1996 6,10 Milliarden Mark. Die angehäuften Schulden sind im kommenden Jahr erstmals höher als die Ausgaben und steigen 1996 auf 51 Milliarden Mark an. Dazu kommt, daß es mit dem gewollten Abbau von 25.000 Stellen im öffentlichen Dienst von 1992 bis 1997 nicht so klappt, wie Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) vorgibt. Unter anderem soll er 2.200 Stellen eingespart haben, die es gar nicht gab.

Mit dem Erwirtschaften von Profiten für die Allgemeinheit tut sich vor allem Parlamentspräsidentin Hanna-Renate Laurien (CDU) schwer. Obwohl allein die Nutzung des Plenarsaals für Dritte stündlich 3.000 Mark kostet, rechnet Laurien nur mit 10.000 Mark Mieteinnahmen für alle Räume im Preußischen Landtag im gesamten Jahr. Ein wenig mehr Mühe würde der alten Dame gut zu Gesicht stehen, erhöht sie doch aus ihrem Etat die Zuschüsse an die Fraktionen des Abgeordnetenhauses um 300.000 Mark. Außerdem will sie für eine Erweiterung der Gemäldegalerie Berliner Ehrenbürger 170.000 Mark ausgeben.

Der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) gibt nach dem Scheitern der Olympiabewerbung wieder allerhand für Internationales aus. Die „Expo '96“ in Tokio läßt sich der Regiermeister für die Selbstdarstellung seiner Stadt 3,9 Millionen Mark kosten.

Die Regierungsmitglieder und ihr Chef können nichts machen, wenn das Parlament ihrem Haushaltsentwurf nicht zustimmt. Und damit dies auch am kommenden Donnerstag und Freitag passiert, gibt es natürlich einen „Bonbon“. Ursprünglich sollten sich CDU und SPD aus dem Doppelhaushalt insgesamt 1,5 Millionen Mark als quasi direkte Regierungsparteien- Finanzierung teilen. Weil es dann doch zu peinlich wurde, änderten Kungelprofis aus CDU und SPD den Titel „Zuschüsse an die KPV und SGK“ in „Zuschüsse an kommunalpolitische Vereinigungen“. KPV ist die Kommunalpolitische Vereinigung der CDU und SGK die Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik. Die Vereinigungen bilden Berlins Bezirksverordnete weiter – so sie denn der „richtigen“ Partei angehören. Jetzt müssen sich CDU und SPD den Millionen-Etat mit politischer Konkurrenz teilen.

Gegen seinen Willen spart Innensenator Heckelmann. Nach der Affaire um seinen Pressesprecher, der mit Rechtsradikalen verkehrte, wurde ihm das Landesamt für Verfassungsschutz weggenommen. Sieben Mitarbeiter wechseln nun ins Rote Rathaus. Diepgen hat ab Januar die Obhut. Sein Personaletat wurde deshalb um 10,6 Millionen Mark aufgestockt.

Der besonders von Konservativen bemängelte Wertezerfall drückt sich am deutlichsten im Etat der Justizverwaltung aus. Das Portemonnaie von Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD) wird 1995 um 41,5 Millionen Mark und 1996 um 78 Millionen Mark dicker. Vor allem weil eine U-Haftanstalt für Jugendliche sowie Knäste in Tegel und Pankow gebaut werden und die JVA Lichtenberg erweitert wird. Während gegen den Wertezerfall mit den Instrumenten der Haushaltspolitik vorgegangen wird, üben die Haushaltspolitiker bei der Bildung von Werten überraschenderweise finanzielle Zurückhaltung. Von zwölf Oberschulen, mit deren Bau 1995 begonnen werden sollte, sind jetzt nur noch drei im Oberschulsonderprogramm vorgesehen. Der Etat wurde von 45 Millionen auf 3 Millionen Mark zusammengestrichen. Dem Zerfall von Sportanlagen wird gleich ganz tatenlos zugesehen. Ein Sanierungsprogramm in Höhe von jährlich 15 bis 20 Millionen Mark ist ersatzlos gestrichen worden. Und die 76 Frei- und Hallenbäder werden bald „Land unter“ melden. Ihr Zuschuß soll von 144 Millionen Mark jährlich bis 1996 halbiert werden.

Beim Werterhalt knausert die Große Koalition auch. Obwohl der Senat zehn weitere Sanierungsgebiete festgelegt hat, wurde der Etat von 574 Millionen Mark nur um 30 Millionen Mark aufgestockt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen