„Bündnis 90 ist hier abgewickelt worden“

■ Der sächsische Bundestagsabgeordnete Werner Schulz zur Wahl des Bundesvorstands

taz: Von den drei Ansprüchen – Mann-Frau, Realos-Linke, West- Ost – hat bei der Wahl der SprecherInnen allein der Osten zurückstecken müssen. Ist das ein Zeichen dafür, daß die neuen Länder bei den Bündnisgrünen nicht mehr zählen?

Werner Schulz: Nein. Nicht die Sprecherwahl ist es, die mir Sorgen bereitet. Mit Jürgen Trittin und Krista Sager kann der Osten gut leben. Als offizielle Quotierungen akzeptiere ich nur den Anspruch der Frauen. Die Balance zwischen Linken und Realos wird durch eine informelle Quote hergestellt. Wenn wir dann auch noch den Osten quotieren wollten, gäbe es bei den Sprecherposten keine demokratische Wahl mehr.

Und was gefällt Ihnen nicht an der Vorstandswahl?

Ich habe den Eindruck, daß auf diesem Parteitag Bündnis 90 auf Kosten der Befriedung der beiden politischen Lager abgewickelt worden ist. Der Assoziationsvertrag schreibt vor, daß vier von neun Mitgliedern des Bundesvorstands aus den neuen Ländern kommen. Aber wer ist hier nun gewählt worden? Unter den vier Gewählten ist kein authentischer Vertreter aus der DDR-Opposition mehr. Weder Burghard Brinksmeier noch Heiko Lietz oder Katrin Göring- Eckardt hatten eine Chance. Eines der neuen Mitglieder kommt faktisch aus Westberlin, fährt aber auf Ostticket.

Warum haben sich die Bündnis-90-Leute nicht mit ihren Vorstellungen durchsetzen können?

Ich denke, daß wir zu früh und ohne Kenntnis der grünen Strömungstechnik unseren Organisationszusammenhang aufgegeben haben. Früher haben wir unsere Ansprüche abgestimmt. Das haben wir aber aufgegeben, weil wir darauf vertrauten, daß die im Grundkonsens formulierten Ansprüche in der Partei ihren Platz haben.

Welche Konsequenzen ziehen Sie denn daraus?

Zum Aufbau Ost ist offenbar doch die Wiederbelebung von Bündnis 90 innerhalb der Partei nötig. Wir müssen am inhaltlichen Profil einer Bürgerrechtspartei weiterarbeiten.

Am Samstag ist Christiane Ziller, die aus der DDR kommt und sich als Linke versteht, bei der Wahl der Sprecher gescheitert. Hängt das Ergebnis der Wahl der Beisitzer im Bundesvorstand, die Ihnen nun Sorgen macht, mit Zillers Ausscheiden zusammen?

Sie müßten sagen: die sich neuerdings als Linke versteht. Genau diese Verortung scheint leider ausschlaggebend zu sein. Überhaupt wurde häufig das Glaubensbekenntnis abgefragt, „bist du für rot- grün oder schwarz-grün?“ Das zeigt mir, daß das neue Selbstverständnis noch nicht verinnerlicht wurde, denn wir sind bündnisgrün, das heißt, wir sollten offen sein für Sach- und Reformbündnisse. Und das muß man dann schon stärker inhaltlich diskutieren.

Aber Sie müssen doch den Aufbau der Partei in den neuen Ländern schaffen – und zwar jetzt auch mit diesem neuen Vorstand. Wie stellen Sie sich das vor?

Der neue Bundesvorstand steht in der Pflicht. Er muß jetzt ein Konzept für die Stärkung der ostdeutschen Landesverbände, den Erhalt kommunaler Arbeitsstrukturenen und die Image-Verbesserung im Osten erarbeiten. Das wird nur in enger Kooperation mit der Fraktion und der Ausschöpfung aller Kraftreserven möglich sein. Es reicht nicht mehr aus, mal drüben gewesen zu sein. Es müssen ganz neue, intensive Arbeitszusammenhänge entstehen.

Auch wenn Ihnen dieser Bundesvorstand nicht so gefällt?

Gefallen hin oder her – ich bin dennoch zuversichtlich, daß der gesamte Bundesvorstand weiß, daß unser Erfolg nur dann ausbaufähig ist, wenn wir im Osten zulegen und der Westausdehnung der PDS wirkungsvoll entgegentreten. Dazu braucht man alle Erfahrungsträger der Partei.

Die Kompensation durch den Umzug der Zentrale nach Berlin geht auch nicht so weit, wie Sie sich das vorgestellt hatten.

Natürlich ist das politische Signal bei einem Kompromiß nicht mehr so wirksam, aber die Lösung ist tragbar. Daß der Wahlkampf 1998 in Berlin gemacht wird, also in der Stadt, wo Ost und West zusammenwachsen, ist für mich eine Garantie, daß wir nicht noch einmal so einbrechen wie bei der Bundestagswahl 1994, wo von Bornheim-Roisdorf aus der Wahlkampf geführt wurde. Den kann man eben nicht am grünen Tisch, an der Peripherie von Bonn machen. Da muß man vor Ort sein, wo der Aufbau Ost zu leisten ist. Wir haben eine Geschäftsstelle in Ostberlin, die stand bisher leer. Sie hätte schon lange mit politischem Leben gefüllt werden müssen.

Interview: Hans Monath