Die Rückkehr der Mariedl

■ Kampnagel: „Babylon“ zeigt ab heute Schwabs letztes Stück

Seit den „Präsidentinnen“ ist sie eine Kampnagel-Kultfigur, nun ist das „Mariedl“ aus Werner Schwabs erstem Fäkaldrama endlich zurück, und zwar in dem letzten Stück des verstorbenen Autors Mariedl/Antiklima(x). Anknüpfend an die Familiengeschichte des strengkatholischen, gestörten Mädchens, zeigt Schwab das Umfeld, aus dem durch Verdrängung heiliger Größenwahn und Helferkomplex entstehen können. Die Gruppe Babylon spielt heute die posthume Uraufführung in der Regie von Barbara Neureiter – natürlich wieder mit der fabelhaften Miriam Fiordeponti in der Titelrolle.

„Die ganze Wirklichkeit hat von der Mariedl geträumt.“ Barbara Neureiter nimmt den ersten Satz des Stückes zum Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit dem Status von Wirklichkeit und legt die Familiengeschichte als Erinnerungsspur an, die in Mariedls Kopf stattfindet: „Das ganze Stück geht auf eine Erinnerungsstruktur zurück, wie man sich in Versatzstücken an etwas erinnert. Es erhebt als Erinnerung keinen Anspruch auf eine objektive Wirklichkeit oder „richtige“ Wahrnehmung.“ Mariedl imaginiert den ständig onanierenden Bruder, den saufenden, Mariedl mißbrauchenden Vater und die Mutter, die mit Fleischschmalz das Heim schön- und heilschmieren will. Zwischenzeitlich kommen Vertreter von Kirche, Staat und Wissenschaft ins traute Heim. Es finden sich also die üblichen inzestiösen, abnormen, manischen Schwabfiguren im kleinbürgerlichen katholizistischen Familienwahnsinn, jedoch radikaler in ihrer Hermetik und Ausweglosigkeit, in der Sprache noch viel artifizieller als in der frühen Familienstücken.

Mariedl als Sündenbock der Familie voll Schuldbewußtsein erleidet stillblutend, um später möglichst nah beim Herrgott zu sein. Barbara Neureiter, gebürtige Österreicherin, weiß von solch katholischen Auswüchsen: „Der Gedanke auf Erden sich möglichst zu kasteien, um im Himmel ein schönes Dasein zu haben, das ist der perverste Gedanke, den ich überhaupt kenne.“ In der Inszenierung soll an Blut und sakralen Elementen nicht gespart werden, als Co-Bühnenbildnerin konnte Barbara Bilabel, die erste Babylon-Regisseurin, gewonnen werden. Für Kampnagel ist Mariedl durch das verschobene Coyoten-Projekt die erste Hamburger Hausproduktion nach der mißglückten Eröffnung. Lastet damit ein Druck auf Barbara Neureiter? „Das schieb ich weg. Ich bin auch ein guter Verdränger.“

Niels Grevsen