Sanssouci
: Nachschlag

■ Bandoneon und Herz: Tango im Haus der Kulturen der Welt

Mit hochgestellten Füßen, einem nach vorn gebeugten Kopf und den lockigen, langen Haaren umschließt Luis Di Matteo sein Bandoneon wie sein Herz. Es liegt in seinem Schoß – als Bandwurm, Blasebalg, Raupe und Schmetterling – und gibt der geschlossenen Form seines Körpers während des ganzen Konzerts im Haus der Kulturen der Welt von innen heraus Bewegung. Echte Bescheidenheit ist es, die den Uruguayer hinter seinem Instrument und seiner Musik zurücktreten läßt. Denn die Statik seines Körpers steht in krassem Gegensatz zur musikalischen Unberechenbarkeit seiner eigenen Kompositionen. Rhythmuswechsel, ein ständiges Auf und Ab zwischen langgezogenen Akkorden und sich wiederholenden Melodiefragmenten, die immer neu variiert werden, prägen die Musik. Der scheppernde, manchmal hechelnde Klang des Bandoneons hat etwas Versöhnliches, Interferenzen und Obertöne lassen das Unharmonische irgendwie harmonisch klingen.

Mit neun Jahren hat er angefangen, und seit einem halben Jahrhundert spielt er nun das Bandoneon. Luis de Matteo, ein begeisterter Anhänger der Musik von Schönberg, gilt mittlerweile als der Bandoneonspieler, der für dieses Instrument die Brücke zur klassischen Musik geschlagen hat. Für die derzeitige Tournee hat sich Luis de Matteo mit Silvana Deluigi, einer Tanguera aus Leidenschaft zusammengetan. Seit zwölf Jahren lebt sie in Paris, und erst dort hat sie den Tango entdeckt. Mit ihrem tiefen Gesang knüpft sie an die traditionellen Lieder an, die in den Slums von Buenos Aires Mitte des letzten Jahrhunderts kreiert wurden und nichts mit dem kitschigen Klischee zu tun haben, zu dem Tango in Europa lange Zeit verkommen war. Silvana Deluigi, die jahrelang mit dem eher am Jazz orientierten Bandoneonspieler Juan José Mosalini zusammenarbeitete, singt in trotziger, manchmal unmelodischer Leidenschaft: Weltschmerz und Melancholie – Gefühle, die nicht mehr zusammenpassen, widerständiges Aufbegehren von Frauen, Sehnsucht und Einsicht in die Umwege, die man machen muß, um glücklich zu sein. „Der Tango ist die Sprache der porteños – der Leute von Buenos Aires – und ich singe ihn, weil ich daher komme, weil ich so spreche und nicht anders.“ Das Auditorium im HdKdW ist zwar kein verrauchter Schuppen, hier stellt niemand seine Traurigkeit aus – aber vorsingen läßt man sie sich doch, und dann applaudiert man hingerissen. Waltraud Schwab