Die nackte Glotze Von Mathias Bröckers

Daß Amerikaner nichts lieber in der Hand haben als eine Knarre, dieses weitverbreitete Bild eines waffennarrischen Wilden Westens muß revidiert werden. Zumindest teilweise. Zwar werden nach wie vor nirgendwo in der Welt so viele Bürger durch privaten Schußwaffengebrauch ins Jenseits befördert wie in den Vereinigten Staaten – doch was durchschnittliche US- BürgerInnen am meisten vermissen, ist nicht die 38er oder der Colt. Es ist, wie die Umfrage der Elektronik-Firma Magnavox ergab, die Fernbedienung. 55 Prozent aller Befragten gaben an, daß ihnen die Knipse für die Glotze bis zu drei Mal pro Woche verloren geht und heftige Suchereien verursacht, 63 Prozent der notorischen Verlierer berichten, daß sie mindestens fünf Minuten am Tag mit der Recherche nach der verlegten Fernbedienung verbringen. Anlaß der Umfrage nach dem Fernbedienungs- Verhalten war ein neu entwickelter Fernseher, der über eine „Remote Locator“ genannte Einrichtung verfügt: Nach Einschalten des Geräts macht die Fernbedienung 30 Sekunden mit einem Piepton auf sich aufmerksam. Für die große Mehrzahl aller Befragten würde diese hilfreiche Einrichtung wesentlich zur Streßreduktion beim Fernsehen beitragen, für sechs Prozent bringt aber auch die piepsende Fernbedienung keine Entlastung: sie verlegen die Knipse häufig im Kühlschrank.

Die Umfrage brachte noch ein, zwei weitere interessante Ergebnisse: Einem Drittel der Bevölkerung bereitet Fernsehen ohne Fernbedienung keinerlei Vergnügen. Und bei der Frage, ob sie lieber eine Woche ohne Sex oder ohne Fernbedienung verbringen würden, entschieden sich 18 Prozent aller Frauen (und neun Prozent aller Männer) für die geliebte Knipse. Ein derart vitales Interesse an dem batteriebetriebenen Kästchen hätte man ihm bei der Markteinführung vor etwa 25 Jahren kaum zugetraut. Mittlerweile, so zeigen diese Ergebnisse, gehört in Amerika neben dem „pursuit of happiness“ das Streben nach der Fernbedienung zu den wirklich essentiellen Dingen. Keine Frage, daß der „Remote Locator“ Zukunft hat. Allerdings nicht in deutschen Hotelzimmern. Dort hat sich nämlich, offenbar als Reaktion auf die auch hierzulande heißgeliebten und deshalb permanent geklauten Fernbedienungen, die nackte Glotze durchgesetzt. Knopfbedienung wie zu Großvaters Zeiten, was im Zeitalter von drei Dutzend Kabelstationen mehr als eine Zumutung ist. Einige einsichtige Hoteliers haben das Ding wenigstens noch am Nachttisch verschraubt, die meisten muten dem zahlenden Gast jedoch gnadenlose Springprozessionen zu. Daß zu jeder Dusche ein Handtuch gehört, bleibt selbstverständlich, selbst wenn es dauernd geklaut wird; daß Fernsehen ohne Fernbedienung so ähnlich ist wie Duschen ohne Abtrocknen, diese Alltagswahrheit gehört im deutschen Hotelwesen noch zu den großen Geheimnissen. Die Umfrage aus USA allerdings zeigt, daß das Recht auf Fernbedienung auf dem besten Weg ist, in den Rahmen der zivilisatorischen Selbstverständlichkeiten aufgenommen zu werden. Vor der nackten Glotze hilflos allen Werbeblöcken ausgesetzt zu sein, kann mental gesunden Menschen einfach nicht zugemutet werden. Souverän ist, wer – mit Carl Schmitt zu sprechen – über den Ausschaltezustand entscheidet.