Zagrebs Armee ist zum Angriff bereit

■ Trotz neuer Vereinbarungen mit der Krajina will Kroatien in Bosnien militärisch eingreifen, falls Bihać erobert wird

Split (taz) – Die Vorbereitungen für ein militärisches Eingreifen Kroatiens in den Kampf um die westbosnische UN-Schutzzone Bihać gehen weiter – trotz des Übereinkommens mit den Machthabern im serbisch besetzten Drittel der exjugoslawischen Republik, das am vergangenen Samstag unterschrieben wurde. In dem Vertrag geht es sowohl um die Wiederherstellung der Stromleitungen zwischen Dalmatien und Rijeka – die Trasse führt über die „Serbische Republik Krajina“, wie die kroatischen Serben die von ihnen besetzten Gebiete nennen –, die Nutzung der Autobahnverbindung zwischen Zagreb und Slawonien und die Pipelineverbindung zwischen der kroatischen Küste und Ungarn. Er schließt einen Verhandlungsmarathon unter Vermittlung der UNO, der USA, Rußlands und der EU ab.

Daß der Wortlaut des Abkommens bisher nicht vollständig veröffentlicht wurde, läßt darauf schließen, daß keinerlei Fortschritte über den politischen Status der Krajina erzielt wurden. Was Wunder, besteht doch Präsident Franjo Tudjman nach wie vor darauf, die Krajina als einen integralen Bestandteil Kroatiens zu behandeln, während die Führung in der „Hauptstadt“ Knin unter dem „Präsidenten“ Milan Martić auf ihrer Unabhängigkeit beharrt. Immerhin: Bezüglich der oben genannten konkreten Fragen wurden Fortschritte erreicht, und zudem ist das Abkommen das erste Verhandlungsergebnis seit dem 30. März dieses Jahres, dem Tag, an dem das Waffenstillstandsabkommen zwischen Kroatien und der Krajina unterzeichnet wurde.

Irritierend für viele politische Beobachter ist dabei, daß die Unterzeichnung keinerlei Einfluß auf die militärischen Spannungen zu haben scheint. Zagrebs Armee baut ihre Stellungen um Gospić, Split und Karlovac aus, mobilisiert Reservisten und droht mit einem militärischen Eingreifen in der Nachbarrepublik Bosnien-Herzegowina für den Fall, das die umkämpfte Stadt Bihać fällt; und auch in der Krajina gehen die Vorbereitungen für eine kriegerische Auseinandersetzung – unabhängig von der Kniner Ankündigung, die in Bihać kämpfenden Truppen zurückzuziehen – weiter.

Angesichts der Tatsache, daß die UN bisher einen solchen Schritt der Krajina-Serben nicht bestätigen konnte, scheint das Verhalten Zagrebs verständlich. Und so stehen im von der kroatischen Armee kontrollierten Gospić 6.000 hochgerüstete Soldaten bereit, auf das kaum 30 Kilometer weiter östlich gelegene Gebiet um Bihać vorzustoßen. Ihr Eingreifen würde nicht nur die Verteidigung der Stadt erleichtern: zudem würde bei einer kroatischen Intervention die Krajina in zwei Teile zerschnitten und Knin eingekreist. Denn von Süden her, auf bosnischem Gebiet, versucht die bosnisch-kroatische Armee HVO von der westherzegowinischen Stadt Livno aus weiter nach Nordwesten voranzukommen und soll schon die etwa 20 Kilometer entfernte Stadt Celebić eingenommen haben. Gelänge den bosnisch-kroatischen Streitkräften hier ein weiterer Vorstoß nach Norden, könnte eine Straßenverbindung zwischen den von Serben besetzen Gebieten in Bosnien und Kroatien abgeschnitten werden – was für die serbischen Truppen bei Bihać und in Kroatien angesichts der mittlerweile stabilisierten Fronten gleichermaßen gefährlich wäre. Erich Rathfelder