Symbolische Käfige und Entzäunungen

Am Tag der Menschenrechte soll der Abschiebeknast in Worms „entzäunt“ werden / Ziviler Ungehorsam gegen Asylpraxis auch an anderen Orten / Im Vorfeld hektische Polizeiaktivitäten  ■ Von Anita Kugler

Berlin (taz) — In Worms und in Erbach/Odenwald beschlagnahmten Kriminalpolizisten Matrizen, Druckstöcke, Flugblätter, ganz so, als ob höchste Gefahr im Verzug ist. Das war am vergangenen Freitag, und die konzertierte, vom Amtsgericht Bonn angewiesene Aktion richtete sich nicht gegen Terroristen, sondern gegen die Aktivisten des Ad-hoc-Bündnisses „Ziviler Ungehorsam für Asylrecht“. Ihr Vergehen: Am kommenden Sonnabend, am Tag der Menschenrechte planen sie vor dem Wormser Abschiebegefängnis in der Hafenstraße 44 eine „symbolische Entzäunungsaktion“. Nach einer Demonstration und Kundgebung wollen sie mit Drahtscheren ein Loch in das mit Nato-Draht geschützte Gefängnis schneiden.

Ein symbolischer Akt, denn am liebsten würden sie sämtliche Abschiebeknäste niederreißen und die Häftlinge befreien. Die geplante Aktion jedenfalls machte die Staatsschützer so nervös, daß sie beim Koordinator Martin Singe in Worms nicht einmal warteten bis er nach Hause kam. In seiner Abwesenheit brachen sie die Privatwohnung auf, kassierten den Computer und sämtliche Listen mit den Unterschriften der Unterstützer der Aktion. Sowohl Klaus Vack, der im Odenwald Geschädigte, als auch Singe haben inzwischen über ihre Rechtsanwälte Beschwerde eingelegt.

Allen Störmanövern der Polizei zum Trotz gehen indessen die Vorbereitungen für die „Entzäunungsaktion“ weiter. Mit der Drahtschere wollen die Menschenrechtler zeigen, „unser Gewissen sagt nein zur Abschiebehaft“. Die Gefängnisse seien das deutlichste Symbol des herrschenden Asylunrechts, heißt es zur Begründung in den beschlagnahmten, aber inwischen wieder neu vervielfältigten Flugblättern. Die Aktivisten, darunter die Professoren Wolfgang Narr, Joachim Hirsch und Albert Scheer, sind sich bewußt, daß sie und alle Mittäterinnen wegen Landfriedensbruch vors Gericht gezerrt werden können, halten aber die permante Verletzung der Menschenrechte für strafwürdiger als ihren zivilen Ungehorsam.

Im Wormser Abschiebegefängnis sitzen derzeit 44 Häftlinge aus insgesamt 19 verschiedenen Staaten. Die „Sicherungshaft“ kann bis zu 18 Monate dauern. Laut einem Brief eines abgelehnten Asylbewerbers aus Algerien müssen sich in Worms sieben bis zehn Menschen einen Raum teilen. Ins Freie dürfen sie nur alle vier Tage für jeweils eine halbe Stunde. „Es ist wie Folter“, vor allem für die, „die nach ihrer Abschiebung ins Heimatland mit Verfolgung zu rechnen haben“, schrieb er. Der Aktion „Ziviler Ungehorsam für Aslyrecht“ sind die Namen von acht abgelehnten Asylbewerbern bekannt, die in einem Abschiebegefängnis Selbstmord verübten.

Die „Entzäunungsaktion“ ist die spektakulärste Veranstaltung zum Tag der Menschenrechte am 8. Dezember. In der Innenstadt von Berlin wird „amnesty international“ am Nachmittag einen riesigen symbolischen Käfig aufstellen. Bei Einbruch der Dunkelheit sollen dort für die in Abschiebehaft gestorbenen Flüchtlinge Kerzen angezündet werden. Proteste gegen die unhaltbaren Zustände in den Abschiebegefängnissen finden aber auch in anderen Städten statt. Vor der Hamburger Einrichtung Glasmoor, in der 84 Menschen hinter einem meterhohen Zaun hausen, werden bis Ende Dezember jeden Sonntag Protestspaziergänge stattfinden. In Siegburg beschloß in der vergangenen Woche die Konferenz der evangelischen Gefängnisseelsorger, jeden ersten Montag im Monat vor dem Düsseldorfer Innenministerium eine Mahnwache gegen den „Skandal Abschiebehaft“ zu veranstalten. Derweil kassiert das niedersächsiche Innenministerium weiterhin Verpflegungsgeld von ihren Abschiebehäftlingen. Alleine in diesem Jahr, bestätigte ein Sprecher, seien den Asylgefangenen im Regierungsbezirk Hannover 75.000 Mark abgenommen worden.