: Gott und Bürgerrechte Von Andrea Böhm
Amerikanische Richter legen oft eine erstaunliche Phantasie an den Tag, wenn es darum geht, sich Strafen für Delinquenten auszudenken. Manche machen Schlagzeilen, indem sie Sexualstraftätern die „Wahl“ zwischen Gefängnis und Kastration anbieten; andere verurteilen skrupellose Hausbesitzer dazu, jene Bruchbuden in den Großstadtghettos zu beziehen, die sie für horrendes Geld vermieten. Nun hat Thomas Quirk, Bezirksrichter in Lake Charles im Bundesstaat Louisiana, durch unorthodoxe Methoden bei der Strafzumessung für Aufmerksamkeit und Aufregung gesorgt. Seit zwei Jahren pflegen Seine Ehren in Lake Charles den Delinquenten bei minderschweren Delikten wie Trunkenheit am Steuer zum wöchentlichen Kirchgang zu verurteilen. Nun würden manche Atheisten einen Gottesdienst tatsächlich als punitive Maßnahme empfinden, doch Richter Quirk hat Rehabilitation und Resozialisierung im Sinn. Das Zwiegespräch mit dem Allmächtigen soll Gesetzestreue vermitteln, und beim gemeinsamen Amen wird der Sünder wieder in die Gemeinde aufgenommen. 350 Verurteilten hat Quirk bislang auf diese Weise Respekt für Gesetz und Sitten einzuflößen versucht. Die „American Civil Liberties Union“ (ACLU), die größte Bürgerrechtsorganisation in den USA, will nun dieser Praxis ein Ende machen. Sie hat bei einem Bundesgericht Beschwerde mit der Begründung eingelegt, auch Richter Quirk habe sich an das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Kirche zu halten. Ein völlig berechtigter Einwand — nur macht sich die ACLU mit solchen Aktionen nicht gerade beliebt in einem Land, in dem acht von zehn Bürgern an die Existenz Gottes glauben und überzeugt sind, daß die Menschen sich eines Tages vor selbigem für ihre Sünden verantworten müssen. Allen voran diese ungläubigen Liberalen von der ACLU. Die steht ohnehin mit dem Rücken zur Kirchenmauer. Weihnachten naht!
In Overland im Bundesstaat Missouri mußte die ACLU ihre einsame Stimme zum Protest erheben, weil Vater Staat in Gestalt des Bürgermeisters vor dem Rathaus eine Jesus-Maria-und-Josef- Krippe nebst Weihnachtsmann und dessem Transportmittel, dem Rentier Rudolf, aufgestellt hatte. Die Stadtverwaltung zeigt sich verfassungsrechtlichen Argumenten bislang nicht aufgeschlossen — mit der Begründung, Figuren wie „Santa Claus“ und „Rudolf, the reindeer“ würden die ganze Szenerie säkular auflockern. Ein paar Meilen weiter, im großen St. Louis, liegt die Sache etwas komplizierter. Da steht zwar wie jedes Jahr ein Weihnachtsbaum auf dem Gerichtsplatz. Als jedoch einige Bürger jüdischen Glaubens eine drei Meter hohe Menorah anläßlich des Hanukkah-Festes neben die Tanne stellten, ließen die Stadtväter den siebenarmigen Leuchter mit der Begründung entfernen, er könnte ja umfallen und jemanden verletzen. Ein solches Malheur kann natürlich auch dem Tannenbaum passieren, aber der christliche Glauben steht in St. Louis nun mal auf breiteren Füßen als der jüdische. Die ACLU wiederum will weder Christbaum noch Menorah auf öffentlichen Plätzen — und hat natürlich recht: Ob nun der Leuchter oder der Baum samt Jahresendzeitfigur den Bürgern aufs Haupt fällt — Beule bleibt Beule und ist verfassungswidrig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen