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Kratzfreies für die Kult-o-thek

■ Nur nichts dem Zufall überlassen: Das Kronos Quartet, Designer-Ensemble unter den E-Musikanten mit weichgespültem Sound, ist wieder einmal auf Tournee

Musiker der klassischen Zunft sind meist wortkarge Menschen, selten auratisch, keine Skandale, keine Exzesse, null Modebewußtsein. Wie soll man all die Figuren und insbesondere die Streichquartettvereinigungen bloß unterscheiden? In diesem attraktionsfreien Segment eine Marktlücke gesehen zu haben verdient noch keinen Innovationspreis, um so mehr jedoch die Kompaktlösung für ihre Schließung: das Kronos Quartet, derzeit auf Deutschlandtournee. Alles ist perfekt geregelt, nichts dem Zufall überlassen: ein anderes Garderoben-Set (vom Designer) für jedes Konzert; die Bühne von erfahrenen Beleuchtern (pardon, Licht- Designern) illuminiert; ein Girl mit young-urban-female-Frisur am Cello; durch vielstündiges tägliches Training einen weichgespülten, also kratzfreien Ensemblesound erreicht; und, was die Programme betrifft, zwei Prinzipien aufgestellt: Minimal Music bis zum Abwinken und Exotik bis zur Surrealistik. Ersteres wird durch Steve Reich, Terry Riley und andere Komponisten aus der Schnittmenge New Age/New Folklorism gewährleistet; letzteres durch überraschende, wenn auch nicht unbedingt einleuchtende Zusammenstellungen von John Zorn, Anton Webern (dessen kurze Stücke hier nicht weh tun), Arvo Pärt, John Lurie etc. Desweiteren werden die Programme durch Bearbeitungen angereichert – den Jimi-Hendrix-Hit „Purple Haze“ etwa. Das Arrangement entfaltet mit seinen Bordun-Quinten und der ruralen Melodik durchaus das Flair von Bartoks anspruchsvollen Bearbeitungen rumänischer Bauerntänze, die charismatische Originalfassung des Stückes wird durch die Ausbeutung allerdings nachhaltig relativiert.

Seit geraumer Zeit schon ziehen die Agenten des Kronos Quartets durch die Welt auf der Suche nach Neuem, Noch-nicht-Gemachtem. Man überredet Jazzmusiker zu Kompositionen (eine meist problematische Idee), läßt sich Thelonius-Monk-Nummern transkribieren oder lädt sich, um als bloßes Streichquartett auf Dauer nicht ermüdend zu sein, Gastsolisten mit exotischen Instrumenten ein. Auch die Klangfarbenpalette wird durch den Einsatz von Percussion oder Tonbandzuspielung schon mal aufgelockert.

Ein für Ernste Musik überaus erfolgreiches Konzept. Nicht zufällig hat der 2001-Verlag das gesamte Opus im Vertrieb. Wo Ikea die Auswahl des grob Materiellen für geschmacksunsichere Zeitgenossen übernimmt, übernimmt 2001 die Ausstattung der Biblio-, der Disco-, der Pinako-, kurz der Kult-o-thek.

In den Siebzigern wäre hier von „Kulturkolonialismus“ die Rede gewesen, von der kommerziellen Ausbeutung eines Lebensgefühls für ein schnelles, billiges Viertelstunden-Vergnügen übersättigter, gelangweilter Mitteleuropäer. Heute ist man da weiter. Die Verquickung der internationalen Märkte zieht folgerichtig auch die Auswertung der kulturellen Ressourcen nach sich. Unter dem Signum multikultureller Vielfalt, Lebensformen und globalen Denkens muß der Anspruch auf hübsches Nebeneinander keinen Einspruch mehr durch die Ursprungskontexte erdulden. Auch die Hervorbringungen der Repräsentanten der „eigenen“ Kultur, die so abgedreht, dekadent oder kurz gesagt unbequem an den Bedürfnissen der weitläufigen Hörerschaft vorbeigeschrieben haben – diese scheinbar verachtend, verhöhnend und dünkelhaft schmähend –, werden in der Logik, schön sei, was gefällt, allzu folgerichtig ignoriert. Der Ausflug durch die Kulturen der Welt bleibt in der freundlichen Vagheit des Unverbindlichen. Enjoy it.

Was hat das Kronos Quartet denn nun von seinen Expeditionen mitgebracht? Was werden sie auf Tour zeigen? „Night Prayers“, die Neuerscheinung, handelt mit Werken von Komponisten aus der „ehemaligen Sowjetunion“. Da wäre Sofia Gubaidulinas viertes Streichquartett – mit einem Klangeffekt, der sofort aufhorchen läßt. Was ist das da, diese Mischung aus Mandoline und Hackbrett? Legno saltanto perpetuo? Das booklet klärt auf: Tonbandüberlagerungen von mit Gummiball traktierten Saiten. Schade nur, daß die üblichen Expressionsphrasen darüberliegen und die musikalischen Einfälle über die Maßen wiederholt und ausgewalzt sind. Als fälliger Kontrast wird der zarte Schmelz anschließend durch ruppig gesägte Akkorde, die sich mit jeder Schraubendrehung weiter ins Unerträgliche steigern, gegeißelt. Die Gefühlsdramaturgie ist durchweg schlicht gestrickt. Ausdruck statt Raffinesse.

Die gleiche Liebe zur modalen Tonleiter, angereichert mit wollüstig-süß-schmerzlichen kleinen Sekunden puren Daseinswehs, teilt Gija Kantcheli, längst kein Unbekannter mehr. Zutiefst religiöser Mensch, der er ist, atmet auch seine Musik jene naiv-schwärmerische Heiligkeit, die ihn mit der Mehrzahl ex-sowjetischer Komponisten – dazu zählen neben Pärt und Gubaidulina die Mehrzahl der auf dieser Platte vertretenen Tonsetzer – verbindet. Da dürfen die Strohbässe (damit meint man wirklich tiefe Männerstimmen) der orthodoxen Kantoren wie auch die Engelsreinheit ungeschlechtlicher Knabenstimmen nicht fehlen. Daß dieses Quartett der letzte Teil eines Zyklus mit dem Titel „Leben ohne Weihnachten“ ist, erklärt vielleicht die Gefühle von „Traurigkeit, Mitleid und Hoffnung“, die aus jeder Phrase der Komposition quellen.

Wenn Musik auch nur im geringsten mit Lebensgefühl zu tun hat, muß sich jeder Ergriffene fragen lassen: Kommt dein Nachtgebet „Domine, ex audi vocem meam, Domine“ aus tiefstem Herzen? Wenn Musik aber eher die schmucke Eigenschaft hat, das Leben zu verzieren und den täglichen Abwasch zu versüßen, gilt: Es lebe Ikea! Frank Hilberg

Tourdaten: 8.12. Bremen, 9. Tübingen, 10. Regensburg.

CD: „Night Prayers“. nonesuch 7559-79346.

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