Angst der weißen Bauern vor der Reform

Namibias Regierungspartei Swapo hofft auf eine Zweidrittelmehrheit bei den heute beginnenden Wahlen / 44 Prozent des kommerziell genutzten Landes sollen umverteilt werden  ■ Aus Naos Willi Germund

Die Wüstensonne hat das Gesicht von Hans Scholz tiefrot gefärbt. Tag für Tag rumpelt er mit seinem 18 Jahre alten Pritschen- Jeep über den Steinweg auf seiner 12.000 Hektar großen Farm Naos rund 100 Kilometer südlich von Namibias Hauptstadt Windhoek umher. Der Horizont endet irgendwo im Dunst der staubgetränkten, vor Hitze flimmernden Luft. Über einigen Hügeln ziehen sich ausnahmsweise ein paar dunkle, regenverheißende Wolken zusammen. Die Namib-Wüste, nach der das Land benannt wurde, liegt nur etwa 100 Kilometer entfernt. Kein leichtes Wirtschaften angesichts der klimatischen Bedingungen. Hans Scholz zieht eine nüchterne Bilanz: „Meine Eltern sind 1931 aus Schlesien hierhergekommen, und wie viele Bauern hänge ich an der eigenen Scholle“, sagt der Landwirt, der an der Universität Bonn promoviert hat, „aber es wird immer schwieriger für uns.“ In dem Gebiet zwischen Windhoek und der Namib-Wüste fällt seit fünf Jahren kaum noch Regen. Scholz ist einer der viertausend weißen Bauern, denen die sechstausend Farmen Namibias gehören. Nur zweitausend befinden sich im Besitz von Schwarzen. Auch Bauer Scholz weiß, daß dies so nicht weitergehen kann: „Die Regierung muß etwas tun. Und Landverteilen ist das einzige, was ihr noch bleibt.“

Namibia zählt wohl bei manchen als „afrikanisches Wunder“. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1990 gab es weder Schlagzeilen noch nennenswerte Unruhe. Aber hinter der Kleinstadtfassade von Windhoek kriselt es. „Die Leute sind heute ärmer als vor fünf Jahren“, sagt der Ökonom Reiner Ritter. 1993 sank das Bruttosozialprodukt des 1,5 Millionen Einwohner zählenden Landes um 3 Prozent – eine Folge der um 28 Prozent gesunkenen Einnahmen aus Diamantenexporten. Die Arbeitslosigkeit hat mittlerweile 38 Prozent erreicht.

Da bleibt Sam Nujoma, dem patriarchenhaften Präsidenten Namibias, zur Mobilisierung von Stimmen für die heute und morgen stattfindenden Wahlen kaum noch ein anderes Thema als die Landreform. Die war schon ein zentrales Anliegen des Befreiungskampfes.

Das Ziel der zweiten Wahl seit der Unabhängigkeit steckte Nujoma selbst: „Wir wollen alle 72 Sitze im Parlament erobern.“ Zunächst verabschiedete die Swapo-Regierung vor einigen Wochen mit ihrer Mehrheit von 42 Sitzen im 72köpfigen Parlament ein Landreformgesetz.

44 Prozent des kommerziell genutzten Landes sollen irgendwann einmal umverteilt werden. Wie genau, wann und unter welchen Bedingungen, das steht freilich noch nicht fest. Wolfgang Werner, der Generaldirektor des Ministeriums für Land, Wiederansiedlung und Rehabilitierung, kommentiert: „Wir haben ein Gesetz, aber keine Politik zu seiner Durchsetzung.“ Trotzdem schreien viele Farmer in Namibia schon jetzt Zeter und Mordio. Anwälte prüfen sogar, ob sie den Verfassungsgerichtshof anrufen sollen. Begründung: Das Vorkaufsrecht, das sich der Staat sichern will, verstoße gegen das Prinzip, daß jeder sein Eigentum frei verkaufen kann. Paul Vlermuis von der Organisation „Rural Institute for Social Empowerment“ (RISE), der die Landreform grundsätzlich befürwortet, kritisiert: „Das Gesetz sieht vor, daß jeder, der einmal benachteiligt war, im Rahmen der Reform Anspruch auf Land erheben kann – also auch Präsident Sam Nujoma.“

Daß zumindest einige Politiker in der Swapo-Regierung solchen Verführungen persönlicher Bereicherung nicht widerstehen können, zeigte die Vergangenheit. So gründeten Swapo-Politiker beispielsweise Firmen, die Fischfangquoten zugeteilt bekamen. Diese Quoten wurden anschließend meistbietend an ausländische Unternehmen verpachtet. Und ausgerechnet Justizminister Ngarikutuke Tjiriange nutzte zusammen mit dem stellvertretenden Innenminister Nangolo Ithete Kontakte zu Häuptlingen in der nördlichen Swapo-Hochburg Ovambo-Land, um sich auf sogenanntem Kommunalem Land eine Straußenfarm einzurichten. Mit Hilfsgeldern ließen sie zudem einen Wasserbrunnen bohren und verweigerten Kleinbauern der Umgebung Zugang zu dem kostbaren Naß, als das Gebiet von einer Dürre heimgesucht wurde.

Wasser aber entscheidet im wüstenreichen Namibia über Wohl und Wehe von Farmen. Das weiß auch der 50jährige Hans Scholz. Über 20 Kilometer Wasserrohre hat er verlegt, damit seine Rinder da saufen können, wo sie meistens weiden. Scholz nennt sich Herr über insgesamt 24.000 Hektar Land. 24 Millionen Quadratmeter auf 560 Millionen Jahren altem Gestein, das für den Laien völlig unwirtlich erscheint. Bei „normalen Regenfällen“ – das sind etwa 300 Millimeter regelmäßig über die Regenzeit verteilt – kann die Farm in der Nähe des Gamsbergpasses für rund zweitausend Rinder wirtschaften. Aber Regen ist seit der Unabhängigkeit meistens ausgeblieben. Scholz besitzt derzeit nur neunhundert Rinder. „Man muß mit dem Boden sehr vorsichtig sein“, sagt er, „damit die Rinder nicht die Grasnarbe zerstören. Sonst übernimmt die Wüste den Boden, und Dornenbüsche nehmen überhand.“

Aus 64 Meter Tiefe holt der Bauer das Wasser. Einige Feigenbäume sind mit großen Netzen eingewickelt, damit Vögel sich nicht die Früchte holen. Gegen die Paviane, die in der Umgebung des Fachwerkhauses herumlungern, hilft das freilich nicht. Scholz gehört zu den wenigen Bauern Namibias, die offen sind für Veränderungen. Auf eigene Kosten errichtete er eine sogenannte Farmschule. In den rostrot gestrichenen Bauten unterrichten jetzt fünf von der Regierung bezahlte Lehrer 74 Kinder aus dem Umkreis von 40 Kilometern. Eine Windhose peitscht mit einigen Kilometern Geschwindigkeit über das Farmgelände hinweg, als einige Schüler anfangen zu packen. Die Weihnachtsferien haben begonnen, und die im Internat lebenden Kinder fahren nun nach Hause.

In der Nähe eines kleinen Staudammes können Lehrer, Kinder und die Familien der acht Arbeiter in einem Garten Gemüse anpflanzen. Scholz gibt offen zu, daß ihm solches Entgegenkommen früher fremd war: „Wir haben alle aus der Not gelernt. Früher dachten wir, weiße Vorarbeiter seien unverzichtbar. Jetzt sehen wir, daß es auch ohne sie geht.“ Der kleine Gemüsegarten für das Personal inmitten der Steppe mag nebensächlich erscheinen, aber in Namibia zählt so etwas auch vier Jahre nach der Unabhängigkeit keineswegs zu den Selbstverständlichkeiten. Als die Regierung unlängst vorschlug, auf allen sechstausend Farmen solle Arbeitern ein Stück Land für Gemüsewirtschaft zur Verfügung stehen, erhob sich auf vielen Höfen ein Schrei der Entrüstung.

„Viele Bauern verstehen unter der Versöhnungspolitik der Regierung, daß sich nichts ändern darf“, sagt ein Diplomat aus Windhoek. Tatsächlich hat sich auch wenig verändert. Die Regierung boxte erst vor kurzem ein Gesetz durch, demzufolge Frauen nun endlich ein Bankkonto eröffnen dürfen, ohne die Unterschrift des Ehemannes einzuholen. Rechtsexperten rechnen damit, daß es noch weitere zwanzig Jahre dauern wird, bis der Ballast der aus südafrikanischer Besatzungszeit stammenden Gesetzgebung endgültig abgeworfen und durch neue, namibische Gesetze ersetzt worden ist.

In Windhoek mit seinen beschaulichen Einzelhandelsläden wurden bisher erst drei Straßennamen geändert, seit der 66jährige Sam Nujoma das Ruder im Land übernahm. Die Göring-Straße, angeblich nach dem Vater des Reichsmarschalls benannt, gehört ebenfalls zu der Liste, wie die Von- Trotta-Straße – benannt nach jenem Verwalter in der deutschen Kolonie von 1884 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, der für das brutale und rücksichtslose Massaker an den Hereros verantwortlich war. Trotzdem erregt sich die täglich erscheinende allgemeine Zeitung, daß deutsche Straßennamen abgeschafft würden.

In dem vor deutscher Gemütlichkeit strotzenden Badort Swakopmund an der Küste des Atlantischen Ozeans feiern unverbesserliche Deutschtümler unverdrossen jährlich Hitlers Geburtstag und hissen die Reichskriegsflagge am Totensonntag. Die Regierung von Sam Nujoma läßt sie weitgehend gewähren und konzentriert sich auf den Erhalt der Macht. Die Naos-Farm kann dazu offensichtlich nicht beitragen. Die Swapo ließ sich im gesamten Wahlkampf weder bei Scholz noch auf den anderen Höfen der Umgebung sehen.

Das Gebiet ist so dünn besiedelt, daß die Stimmen kaum ins Gewicht fallen. Und die Konkurrenz der anderen sieben Parteien braucht Swapo kaum zu fürchten. Die „Demokratische Turnhallen- Allianz“ (DTA), die derzeit noch 21 Sitze innehat und im Bewußtsein vieler Namibier eng mit der ehemaligen Besatzungsmacht Südafrika verwoben war, kann nicht einmal auf finanzielle Unterstützung durch die 6 Prozent Weißen im ehemaligen Deutsch-Südwest- Afrika rechnen. Zumal der 51jährige Spitzenkandidat Mihsake Muyongo vorwiegend durch unglaubwürdige Kapriolen von sich Reden macht.

Die Wahl, eigentlich als endgültiger Nachweis der fest etablierten demokratischen Verhältnisse in Namibia gedacht, könnte das Land denn auch endgültig auf den Weg zum Einparteienstaat bringen – weil der Opposition Alternativen und Personen fehlen. Kein Wunder, daß das 55köpfige Swapo- Zentralkomitee sich schon einmal Gedanken über die Zukunft macht. Die Führung ist sich der unbegrenzten Gefolgschaft der Ovambos unter den 650.000 Wählern sicher. Sollte bei der zweiten Wahl die erhoffte Zweidrittelmehrheit herauskommen, kann die Verfassung geändert werden – und die auf zwei Wahlperioden begrenzte Amtszeit eines Präsidenten verlängert werden.

Doch da schaudert es selbst Paul Vlermuis, einen Swapo- Befürworter, der die Zweidrittelmehrheit verhindern möchte: „Es gibt Swapo-Idealisten und Swapo- Realisten. Ich bin Swapo-Realist und werde strategisch wählen, um eine solche überwältigende Mehrheit zu verhinden.“