Nicht der Hauch einer Chance auf Frieden

■ Die Bosnien-Erklärung scheiterte nach zweimonatiger Vorbereitung. Milosević und Karadžić, die gar nicht geladen waren, können sich als Sieger des Gipfels feiern

Alija Izetbegović hatte eine düstere Ahnung. „Werden die Urheber des Völkermordes in Ex-Jugoslawien demnächst etwa als gleichberechtigte Mitglieder unter uns sitzen?“ hatte der Präsident Bosnien-Herzegowinas in seiner Rede zu Beginn des KSZE-Gipfels am Montagmorgen gefragt. Nimmt man das Ergebnis der Budapester Beratungen zu Ex-Jugoslawien zum Maßstab, dann ist allerdings vorstellbar, daß beim nächsten Gipfel 1996 in Lissabon nicht nur der Präsident des derzeit supendierten Serbien, Slobodan Milošević, neben Kohl, Kinkel, Clinton und Jelzin Platz nehmen wird, sondern auch Radovan Karadžić – und zwar als Präsident einer international anerkannten bosnisch-serbischen Republik.

Eine solche Entwicklung läge in der Logik des diplomatischen Erfolgs, den Milošević und Karadžić in Budapest in Abwesenheit erzielten: Die 51 Regierungschefs im vornehmen Budapester Kongreßzentrum konnten sich nicht einmal auf die Verurteilung von Krieg, Völkermord und „ethnischen Säuberungen“ einigen, die dreihundert Kiometer südostlich weitergehen, geschweige denn auf die Verurteilung der Verantwortlichen dafür.

Zwei Monate lang hatten Diplomaten der 51 Staaten bei der Gipfelvorbereitung über eine Erklärung zu Ex-Jugoslawien verhandelt.

Der letzte fünfseitige Entwurf, den die schwedische Delegation am Montagabend um halb neun auf den Tisch legte, enthielt unter anderem eine „scharfe Verurteilung der jüngsten Verletzung der UNO-Schutzzone Bihać sowie der internationalen Grenze zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien durch die Pale-Serben und die Krajina-Serben“. Die „Aggressoren“ werden „aufgefordert, einen Waffenstillstand zu akzeptieren“ sowie „alle derzeit festgehaltenen UNO-Soldaten umgehend freizulassen“. Darüber hinaus unterbreiteten die Schweden in ihrem Entwurf Vorschläge für eine politische Lösung der Konflikte in Ex-Jugoslawien sowie für Maßnahmen der KSZE zur Vertrauensbildung zwischen den verfeindeten Seiten und zum Wiederaufbau der kriegszerstörten Staaten.

Doch in der Nacht zum Dienstag lehnte die russische Delegation alle bis dato eingebrachten Entwürfe endgültig ab und präsentierte ihrerseits ein knappes, halbseitiges Statement, in dem lediglich in allgemeiner Form und ohne Benennung von Ursachen und Verantwortlichen zum Frieden aufgerufen wird.

Damit war eine Konsenserklärung des KSZE-Gipfels endgültig gescheitert. Gestern morgen brachte die bosnische Delegation den schwedischen Entwurf offiziell im Plenum ein und verlangte eine offene Abstimmung. Darin fand sie nur wenig Unterstützung. Weil sie eine Bloßstellung Moskaus vermeiden wollten, drängten Kohl, die USA und Vertreter anderer Delegationen den bosnische Botschafter, sein Begehren zurückzuziehen. Um die Situation zu retten und durch Verabschiedung einer Konsenserklärung doch noch das Gesicht der KSZE einigermaßen zu wahren, legte Kohl einen Text vor, in dem dazu aufgerufen wird, die humanitären Hilfstransporte in Bosnien nicht länger zu behindern. Dem bosnischen Botschafter war dies zuwenig. In Bosnien finde „keine Naturkatastrophe, sondern ein Krieg statt“.

Kohl reagierte darauf mit einer hochemotionalen persönlichen Erklärung. Er könne die Haltung der bosnischen Regierung zwar „verstehen“, angesichts der verzweifelten Lage der Menschen in Bihać aber „nicht akzeptieren“. Er selber habe „mit 15 Jahren gehungert“. Bei Redaktionsschluß dieser Seite stand noch ein „Appell“ des ungarischen Vorsitzenden der Gipfelkonferenz zur Lage in Bosnien an.

Bei diversen Treffen hinter den Kulissen der Konferenz wurde auch über den veränderten Teilungsplan der Bosnien-Kontaktgruppe beraten. Eine offizielle und umfassende Information der KSZE-Staaten über die Details dieser Veränderungen wurde von den fünf Kontaktgruppen-Staaten (USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland) allerdings vermieden. Es sollte wohl nicht deutlich werden, welch weitgehende Veränderungen und Ergänzungen zugunsten der bosnischen Serben die Kontaktgruppe vorgenommen hat.

Daß dieser Plan auch nicht den Hauch einer Chance für eine Friedenslösung bietet, hatte Bosniens Präsident Izetbegović, dessen Regierung über die Veränderungen und Ergänzungen informiert ist, schon am Montag deutlich gemacht. „Einige anwesende Regierungschefs“ seien mitverantwortlich für die Zerschlagung des UNO- und KSZE-Staates Bosnien-Herzegowinas. Doch die Regierung in Sarajevo werde ihren „Befreiungskrieg fortsetzen“. In den letzten fünfzig Jahren sei nirgendwo in der Welt „ein Befreiungskrieg verloren gegangen“. „Niemand“, so Izetbegović, „wird unsere 150.000 Soldaten zwingen können, ihre Waffen abzugeben.“ Andreas Zumach, Budapest