„Ich war immer Zaungast“

■ Wiglaf Droste über das Volk, die Linken, die taz und zwei hungerstreikende Clowns

taz: Du scheinst mit dem deutschen Volk in der momentanen Form äußerst unzufrieden zu sein.

Wiglaf Droste: Man kann ja damit gar nicht zufrieden sein. Wenn man die Leute ansieht und sie reden hört, kann man eigentlich nur noch Scherze damit treiben. Dabei behandele ich die Deutschen noch viel zu milde angesichts dessen, was sie tun. Sie sind eine optische und akustische Zumutung ersten Ranges, so, wie sie in ihrer Mehrheit auftreten. Da hast Du eben das, was man früher „das Proletariat“ nannte. Nur: Arbeiterklasse ist heute einfach ein Synonym dafür, Jogginganzüge zu tragen und Scorpions zu hören. Diese Leute sind schon eine Plage.

Oftmals setzt Du Dich zum Schreiben bewußt solchen Plagen aus, fährst z.B. nach Mallorca.

Ich habe mir zum Beispiel 1986 zugunsten der taz wirklich alle Deutschrockbands angetan, obwohl ich wußte, wie furchtbar es sein würde. Aber man muß dann eben doch in ein Konzert von Ina Deter gehen, um ganz genau beschreiben zu können, warum das so furchtbar ist: Wie die Leute sich an den Händen fassen, im Kreis tanzen, Männer, die Windeln auf dem Kopf tragen und schleimig um irgendwelche Frauen rumhüpfen.

Die Schilderung der Freude ist in Deinen Texten eher selten.

Ich bin ja nicht Konstantin Wecker, der in Romanen beschreibt, wie er mit irgendwelchen adeligen Frauen fickt. Aber es stimmt ja schon: das Grauen überwiegt. Es wird vor allen Dingen intellektuell immer armseliger im Land. Ich habe zum Beispiel heute einen Kommentar geschrieben für die Junge Welt zum Hungerstreik von Gysi und Bisky. Es ist unglaublich, womit man sich heutzutage beschäftigen muß. Mit zwei solchen Clowns, die sich das Recht herausnehmen, einen Hungerstreik anzuzetteln, was nun wirklich das legitime Kampfmittel politisch Gefangener ist. Aber seit 1989 muß man sich eben mit immer dümmeren Sachen beschäftigen.

Du leidest unter der Wiedervereinigung?

Ach, leiden – ich bin doch nicht Jesus! Es war eine furchtbar dumme Idee. Einige Klügere hatten es ja vorher gesagt. Das ist jetzt die gerechte Strafe für die Deutschen.

Du schimpfst über Linke sehr viel differenzierter als über Rechte.

Ich war immer Zaungast. Das war bei der taz so und auch in anderen – wie Linke sich ausdrücken – „Zusammenhängen“. Wenn Du dazugehören willst, darf alles, was kritikwürdig ist, nur noch intern diskutiert werden. So entsteht Mief. An diese Regel habe ich mich nie gehalten, das war auch ein Grund dafür, daß es in der taz ständig Ärger gab, weil ich keine Lust hatte, zu sagen, der Feind ist Helmut Kohl, und wir sind alle dufte, und wenn wir nicht dufte sind, dann treffen wir uns dazu intern. Das schlimmste ist ja diese linke Humorlosigkeit, die kommt aus der Unintelligenz. Denn wer intelligent ist, der hat auch Distanz zu sich selbst und kann daraus Humor entwickeln. Aber die Leute nehmen sich unglaublich ernst, mit völlig lächerlichen Dingen. „Schweigen für den Frieden“, „Fasten für den Frieden“ usf. Auf rechte Dummheit intellektuell genauso armselig zu reagieren, das wäre demoralisierend.

Fragen: Benjamin v. Stuckrad-Barre

Wiglaf Droste liest heute abend in der Markthalle, 20 Uhr