41 „Faserjahre“

■ Serie: Asbest – die geleimten Opfer (1)

Eine schwere Einkaufstasche tragen – das ist für den ehemaligen Klöckner-Arbeiter Fritz Iwohn nicht mehr drin, zu sehr muß er nach Luft ringen. Das geliebte Mundharmonikablasen – unmöglich. Familienfeiern – immer seltener, zu peinvoll das Schleimhusten in Gesellschaft. Ganz klar Asbestose, sagen die ärztlichen GutachterInnen einstimmig. Asbestose, das ist eine Art Verschwartung der Lunge rund um die stechenden Asbestfasern. Eine Entschädigung bekommt Fritz Iwohn deswegen noch lange nicht: Die Lungenfunktion sei ja nicht „wesentlich eingeschränkt“, so die GutachterInnen. Und vom Sachbearbeiter der zuständigen Metall-Berufsgenossenschaft mußte sich Iwohn gar anhören: „Sie werden doch locker 80 Jahre alt!“

Fritz Iwohn, heute 68, kämpft seit sechs Jahren um Entschädigung. Unterstützt wird er dabei vom Arbeitskreis „Kaputtmalocht“ bei Klöckner. Seine Gegner: die Berufsgenossenschaft, die bei Unfällen und Berufskrankheiten entschädigen muß, sowie die „Gutachter-Mafia“. Jetzt zieht Fritz Iwohn erneut vors Sozialgericht. Sein Problem dabei: Er selbst muß nachweisen, daß er an seinen Arbeitsplätzen mit Asbest in Berührung kam. Gegenüber der Berufsgenossenschaft nämlich zuckten die Firmen die Schultern: Asbest in ihrem Betrieb? Gar Meßergebnisse von anno dunnemal? Hat man nicht. Auch bei Klöckner, erzählt der Schwerbehindertenvertrauensmann Dieter Häring, hieß es nur: „Wahrscheinlich gab es hier Asbest, aber bewiesen ist das nicht.“

Häring blieb hartnäckig, so hartnäckig, wie es eigentlich die Berufsgenossenschaften sein sollten, wenn ihnen ein Fall von Asbestose angezeigt wird. Häring fragte nämlich einfach mal beim Landesgewerbearzt nach: Und siehe da, der zog einen Aufsatz von 1975 hervor – mit Asbest-Meßergebnissen aus der Klöckner-Hütte. Erschienen ist der Aufsatz übrigens im Verbandsorgan der Berufsgenosenschaft selbst!

Fritz Iwohn selbst erinnert sich natürlich noch sehr gut an all das Asbest in seinem Leben: Als 17Jähriger mußte er 1943 auf Kriegsschiffen mitfahren: Da steckte er stundenlang im Kessel- und im Heizraum, umgeben von Rohren, die mit Asbest isoliert waren. Nach dem Krieg diesselbe Arbeitsumgebung auf Minensuchschiffen in der Nordsee. Von 1948 bis 1961 schließlich baute er Schiffe auf zwei Werften in Cuxhaven: Da hat er für die Kesselräume Asbestmatten mit Draht zusammengenäht. Oder hinter die Kabinenholzwände Weißasbestplatten zwecks Isolierung verlegt. Nur zum Beispiel.

Ab 1961 malochte Fritz Iwohn bei Klöckner: als Steuermann in der Warmwalzstraße. Da hat er die Kühlwasserschläuche mit Asbestband umwickelt, damit sie in der Hitze nicht so schnell zerbersten. Oder Asbestmatten unter Edelstahlblöcke gelegt, damit die auf der Rollbahn keine Rillen bekommen. Nur zum Beispiel. „Und wir hatten dabei immer nur unser Blauzeug an.“

So ging das bis 1984. „Dann hab ich das Glück gehabt, daß ich durch die Stillegung der Blockbrammenstraße auf Sozialplan in Rente geschickt wurde“. Nach 41 „Faserjahren“. Vier Jahre später, nach der üblichen jahrzehntelangen Valenzzeit, zum ersten Mal die Diagnose „Asbestose“.

Jetzt will Iwohn einen Gegengutachter beauftragen. Allein: Seit acht Monaten rennt er bei der Berufsgenossenschaft vergeblich hinter den bisher gemachten Röntgenbildern her. Iwohn ist auf Krawall gebürstet. Zu viele kennt er, die erst kurz vor ihrem Tod eine Entschädigungsrente zugestanden bekommen haben. An ihm, Fritz Iwohn, soll die Berufsgenossenschaft nicht sparen können. cis