Tempodrom

■ betr.: „Ökodogmatismus“, taz vom 2.12.94

Ich frage mich die ganze Zeit, warum das Tempodrom unbedingt jetzt auch in der unmittelbaren Nähe des Potsdamer Platzes liegen muß. Vor einiger Zeit war Treptow noch der ideale Standort und gut genug, aber jetzt, wo der Anhalter Bahnhof ins Gespräch gebracht wurde, ist es tiefste Provinz und trotz U- und S-Bahn-Anschluß angeblich schlecht erschlossen.

Ich kann ja ansatzweise noch verstehen, daß Irene Moessinger mit allen Mitteln dafür kämpft, direkt in der Mitte das neue Tempodrom zu errichten, aber daß Dorothee Winden in ihrem Kommentar dazu so engstirnig argumentiert, ist mir unbegreiflich. Ich halte es nicht für einen Witz, wenn die Grünen für Grünflächen (Ökowäldchen) kämpfen, die nicht angelegt sind, sondern in 40 Jahren langsam entstanden. Ich finde es auch verständlich, daß sie den Park, der noch weiter ausgebaut werden muß, nicht einfach über Bord schmeißen.

Ärgerlich ist es, wenn Dorothee Winden alle für dämlich hält, die an Berlin den Anspruch stellen, stundenlange Spaziergänge machen zu können, wozu auch Parks gehören. Daß sie sich hinstellt und anderen sagt, was der richtig verstandene Begriff von Stadt ist, halte ich für arrogant und erinnert mich an die Diskussion über die autogerechte Stadt. Klaus Mummenbrauer

Wie leicht fällt es JournalistInnen, die nur ab und an in die Niederungen der Kommunalpolitik hinabsteigen, die Beschränktheit der kommunalen Kirchtumspolitiker zu geißeln. Diese kämpfen in kleinteiligen, alltäglichen Auseinandersetzungen mitunter 20 Jahre um die Erweiterung einer Schule, um einen Kita-Standort oder zehn Jahre um eine Grünfläche am Anhalter Bahnhof. In vielen Erörterungsveranstaltungen zum Bebauungsplan, zur Bereichsentwicklungsplanung, zum Flächennutzungsplan durften sich BürgerInnen immer wieder davon überzeugen, daß bisher alle politischen Parteien gewillt waren, den letzten Rest eines geplanten Grünzuges durch die südliche Friedrichstadt, den Anhalter Personenbahnhof, der Bevölkerung als Grünfläche zu garantieren.

Auch nach der Vereinigung mit dem Ostteil der Stadt bleibt Kreuzberg der Bezirk mit der höchsten Bevölkerungs- und Bebauungsdichte, der Bezirk mit dem höchsten „Grünzeugs“defizit. Wären die Kreuzberger Kopfbahnhöfe Görlitzer und Anhalter Bahnhof in den sechziger Jahren nicht gesprengt worden, gäbe es nicht mal mehr Perspektiven für Parkanlagen. Kreuzberg verzichtete schon zugunsten des jüdischen Museums, verzichtete zugunsten der SPD- Parteizentrale, verzichtete zugunsten der Baulogistik für den Potsdamer und Leipziger Platz etc. Von den ursprünglich zur Bundesgartenschau geplanten 40 bis 50 Hektar Grünfläche sind nur noch 15 bis 20 Hektar übriggeblieben, wobei die Flächen am Gleisdreieck – wenn überhaupt – erst ab dem Jahre 2010 verfügbar werden. Immer wieder gibt es Projekte von überbezirklicher, überregionaler, europäischer und internationaler Bedeutung, für die Kreuzberg auf Freiflächen verzichten soll. Die Fläche des Anhalter Personenbahnhofs ist, erst nach jahrelangen Bemühungen, seit drei Monaten im Besitz des Landes Berlin und damit für den Bezirk als lange geplante Grünfläche verfügbar. Die bisherige provisorische Begründung konnte nur in Absprache mit der Reichsbahn erfolgen.

Es ist ja schön, wenn Frau Winden so viel lobende Worte für den gerade hergerichteten Görlitzer Park findet. Dabei unterschlägt sie, wahrscheinlich aus Unkenntnis, gegen welche anderen ebenso berechtigten kommunalen Interessen dieser Park entwickelt werden mußte. Ein notwendiger Schulneubau wurde abgewiesen, statt dessen wurde billiger Wohnraum in der Forsterstraße abgerissen. Ein Seniorenheim wurde in die Köpenicker Straße gezwängt. Eine provisorische türkisch-islamische Moschee wurde ohne Ersatz vom Gelände geräumt und anderes mehr.

Es ist überflüssig, mit dem Liebesentzug von alternativer Wählerklientel und anderer Kulturschaffender zu drohen. Wir selbst sehen uns in einem schmerzhaften Interessenkonflikt, da wir Unterstützer und regelmäßige Besucher des Tempodroms sind. Und manchmal fragt man sich tatsächlich, ob man den Kampf um Freiflächen aufgeben sollte, um die sinnvollen Projekte der „eigenen Klientel“ unterzubringen, wie es die anderen Fraktionen tun. Wären wir allerdings so mit dem Görlitzer Park umgegangen, würde es ihn heute nicht geben. Barbara Oesterheld, für den Bezirksvorstand Bü 90/Grüne/AL-

Kreuzberg