Angst essen arte auf

Der arte-Themenabend „Angst“, furchtlos gesichtet  ■ von Birgit Glombitza

Die blasse Frau mit der leisen Stimme hat vorgesorgt. Ohne Sonnenbrille geht sie keinen Schritt mehr. Schließlich „wird der Feuerball direkt auf unseren Planeten zukommen“. Da soll es sie wenigstens nicht blenden. Sofia kann in die Zukunft sehen, eine Zukunft der Katastrophen. Die könne man nicht verhindern, aber wenigstens die „Haustiere sollte man dann nicht auf die Straße lassen“, empfiehlt Sofia und ballt ihre Hände.

„Weltenangst – Angstwelten“ heißt das Feature von Ingolf Efler, das den arte-Themenabend „Angst“ eröffnet. Neben Untergangspropheten wie Sofia verhandeln auch Ethnologen und Psychoanalytiker über „sozialpsychologische Dimensionen von Ängsten“. Doch die Fachleute haben nicht mehr anzubieten als wund geredete Allgemeinplätze: Umweltangst, Zukunftsangst, Apokalypsenangst ergeben ein monströses Angst-Allerlei, in dem schließlich auch noch Fremdenhaß, als Fremdenangst versteht sich, ein Plätzchen findet.

„Weltenangst“ ist der schlampigste Beitrag des Abends, an dem die Moderatorin Hannelore Gadatsch zwischen Dokumentationen und dem Fassbinder-Spielfilm „Angst essen Seele auf“ in Gesprächen mit dem französischen Soziologen und Philosophen Edgar Morin und dem Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter zur Diagnose einer „Volkskrankheit“ antreten: Immerhin neun Prozent der Deutschen sollen unter Angstzuständen leiden.

In ihrem Feature „Krank vor Angst“ unternimmt Gadatsch diskrete Stippvisiten bei drei Patienten, die im Auto, Kaufhaus oder auf dem Friedhof unter „Angstattacken“ leiden. Alle erhoffen sich schnelle Heilung von der „Konfrontationstherapie“, in der sie sich so lange in die „angstauslösende Situation“ begeben, bis das Herzjagen nachläßt. Gadatschs Film ist ebenso einfühlsam wie einseitig. Kritiker kommen nicht zu Wort. Der Ansatz der Theorie, die sich allein um die Symptome, nicht aber um ihre Ursachen kümmert, steht nicht zur Diskussion. Kein Hinweis darauf, daß feuchte Hände und zittrige Knie später in ganz anderen Situationen auftreten können.

Wer nach diesem euphemistischen Bild der Ruckzuck-Methode nicht ausschaltet, wird belohnt. Gero Boehms Schlußlicht „Biotop der Angst“ (0.15 Uhr) und ein Interview mit „Alfred Hitchcock über Angst“ (0.05 Uhr) ziehen den Abend aus dem etwas einsilbigen Begriffssumpf und steuern dem Marathonprogramm eine differenzierte und eine amüsante Auseinandersetzung zum Thema bei. Da plaudert der kleine, fette Regisseur und ehemalige Jesuitenschüler über die Bestrafungsrituale seiner Erzieher, über seine Phobie gegen Strafzettel und prahlt damit, „mehr Angst im wirklichen Leben zu haben“ als irgend jemand sonst.

Und in „Biotop der Angst – Los Angeles“ besichtigt Gero von Boehm eine Vorstadtsiedlung, die sich mit Privatwachdiensten und Stacheldraht Unheil und Verbrechen vom Leib hält. Die Reichen der gate community haben die Stadt verlassen, in der die häufigste Todesursache junger Männer Mord ist und die Polizei schon lange nicht mehr in die Hackordnung der Gangs eingreift.

Boehm hält Hysterie und begründete Todesangst auseinander, Aussagen von überfallenen koreanischen Ladenbesitzern und gutbezahlten Wachleuten sortieren sich von selbst. Boehms Kommentare sind angenehm nüchtern: Kein Spott, kein Mitleid, nur ein bißchen Staunen. Und so darf sich der Film spät in der Nacht fast wie von selbst zu einer beklemmenden Realsatire entwickeln.