Mit Bibel und Flagge

Die Republikaner im Kongreß können umsetzen, woran ihre Vordenker seit Jahren arbeiten – die Vision eines konservativen Amerika  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Man soll den Mann nicht nur nach dem beurteilen, was er sagt, sondern auch nach dem, was er schreibt. Die Clintons als „linksradikale Elitisten“ ohne „moralische Führungskraft“ zu titulieren – das entspricht ganz seiner Rolle als Mann fürs Grobe. Oder Dreckschleuder, wie seine Kritiker sagen würden.

Einen Roman zu schreiben (Arbeitstitel: „1945“), in dem sich deutsche Nazi-Spioninnen als „Sexkätzchen“ in die Machtzentrale des Weißen Hauses vorschnurren – das entspricht ganz dem Image des „Renaissance- Man“. An letzterem arbeitet Newt Gingrich gerade, indem er Werbung für seinen „historischen Zukunftsroman“ macht, der nächsten Sommer auf den Markt kommen soll. Die Story basiert auf der „historisch-utopischen“ Annahme, daß Hitler den USA nicht im Dezember 1941 den Krieg erklärt hat, was es wiederum ermöglicht, in den Handlungsfaden einige ebenso außereheliche wie verkaufsfördernde Sexszenen zwischen besagter Spionin und dem Stabschef des Weißen Hauses einzuspannen.

Mit seinem Kreuzzug für konservative Moral und „family values“ läßt sich dieser literarische Ausflug nur schwer vereinbaren. „Aber“, erklärte Gingrich der New York Times-Kolumnistin Maureen Dowd, die bislang als einzige einen Vorabdruck des Buches lesen durfte, „ich bin ja eine viel komplexere Person, als die Stereotypen suggerieren“.

Dieser Eindruck drängt sich nicht gerade auf, wenn man nur Gingrichs hammerartig vorgetragene Weltanschauung kennt. Vom Zeitpunkt der Unabhängigkeitserklärung 1776 bis zur Mitte der sechziger Jahre dieses Jahrhunderts, so sein Credo, befanden sich die USA auf dem richtigen Pfad. Dann kam die „counterculture“ der 68er-Generation mit ihrer Verachtung für Ehe, Familie und Patriotismus, ihrem demonstrativen Drogenkonsum und ihren Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg. Das Erbe dieser „counterculture“ sieht Gingrich in der „Demokratischen Partei“ im allgemeinen und in der Gestalt der Clintons im besonderen. Deren „multikultureller, nihilistischer Hedonismus“, erklärte er 1992 auf dem Parteitag der Republikaner, sei „für jede gesunde Gesellschaft zerstörerisch“.

Komplexer wird die Person Gingrich, wenn man weiß, daß er selbst in Studentenzeiten gekifft und den Vietnamkrieg abgelehnt und durch Freistellungen umgangen hat. Auch bei der Achtung für die Kleinfamilie zeigte er männlich-menschliche Schwächen: Als er einen Tag nach der Krebsoperation seiner Frau im Krankenhaus auftauchte, um mit ihr die Scheidungsmodalitäten zu besprechen, warf die ihn aus dem Zimmer. Nach vollzogener Aufhebung der Ehe 1980 erwies sich der frischgebackene Abgeordnete Gingrich als höchst unzuverlässig, wenn es um die Alimente für seine Ex-Frau und seine beiden Kinder ging. Die mußten streckenweise Spenden von Freunden in Anspruch nehmen, um über die Runden zu kommen. Erst letztes Jahr reichte seine Ex-Frau erneut Klage vor Gericht ein.

Nun sind andere Politiker schon ins Schleudern geraten, die nur am Joint gezogen, aber nicht inhaliert haben. Doch sehr zum Verdruß der „Demokraten“ haben die kleineren und größeren Brüche zwischen Theorie und Praxis des Newt Gingrich seiner politischen Karriere bislang nicht geschadet. Neben Robert Dole, dem zukünftigen Mehrheitsführer im Senat, ist er der mächtigste Mann in der Partei und formuliert (noch) unangefochten das innenpolitische Programm der Republikaner.

Am Dienstag nominierten ihn die republikanischen Abgeordneten einstimmig und mit tosendem Beifall für das Amt des Sprechers des Repräsentantenhauses. Fraktionsführer wurde der texanische Abgeordnete Richard Armey, sein Stellvertreter Tom DeLay, ebenfalls aus Texas. Beide zählen zum rechten Flügel der Partei und zum engsten Kreis von Gingrichs Mitstreitern, die zusammen den „Contract With America“ formuliert haben – jenes neokonservative Zehnpunkteprogramm, mit dem die Republikaner in den Wahlkampf gezogen waren.

Damit ist die Parlamentskammer fest in der Hand der „Newtoids“, wie die Anhänger und Weggenossen Gingrichs genannt werden. Sie wollen nun fortsetzen, was durch den Wahlsieg Bill Clintons 1992 scheinbar unterbrochen wurde: die „Reagansche Revolution“. In der Ära Gingrich heißt die Mission nun die „Erneuerung der amerikanischen Zivilisation“.

Die ruht auch weiterhin auf den drei Säulen der „Reaganschen Revolution“: die Verwerflichkeit der progressiven Besteuerung; die Unfehlbarkeit des freien Marktes; die Unantastbarkeit der traditionellen Familie. Dem mischt Newt Gingrich eigene ideologische und programmatische Zutaten bei: einen pseudokooperativen Organisations- und Führungsstil, den er sich bei Edward Deming, Guru der japanischen und amerikanischen Managerkaste und Erfinder des „Total Quality Management“, abgeschaut hat; die High-Tech-Visionen der Informationsgesellschaft seines engen Freundes Alvin Toffler, Autor des Weltbestsellers „Der Zukunftsschock“; ein paar futuristische Spinnereien von Produktionsstätten und Hotels auf dem Mond; sowie einen Sozialdarwinismus, den er weit aggressiver vorträgt als Ronald Reagan. Oberste Priorität: die Eliminierung des „Wohlfahrtsstaates“, geschaffen durch Franklin D. Roosevelts „New Deal“ und Lyndon B. Johnsons Projekt der „Great Society“. Bei den sozial Schwächsten will er anfangen: Der Anspruch auf Sozialhilfe für Bedürftige soll abgeschafft werden, was vor allem alleinerziehende Frauen betreffen würde. Kinder minderjähriger alleinstehender Mütter will er in Zukunft in privaten Waisenhäusern unterbringen lassen. Wenn man so will, war auch das wieder einer Kostprobe seiner Komplexität: Newt Gingrich kam als Kind einer 17jährigen Mutter zur Welt, die sich Monate vor seiner Geburt nach drei Tagen Ehe wieder hatte scheiden lassen.

Doch beim Kampf gegen den „welfare state“ geht es den Republikanern nicht nur um Sozialprogramme, sondern um einen radikalen Abbau bundesstaatlicher Strukturen. „Reinventing government“ – die Straffung und Neuorganisierung des Behördenapparates – war einst eine Idee der Regierung Clinton/Gore, die nunmehr die Konservativen mit einem Kahlschlagprogramm besetzt haben: Ministerien sollen zusammengelegt, Behörden wie das „Amt für Arbeitsschutz“ ganz abgeschafft werden.

Für die ersten hundert Tage der neuen Legislaturperiode haben sich die Republikaner vorgenommen, jene zehn Vorlagen aus dem „Vertrag mit Amerika“ zur Abstimmung zu bringen. Die Verpflichtung zu einem ausgeglichenen Haushaltsentwurf soll ebenso gesetzlich festgeschrieben werden wie die Ausweitung der Todesstrafe und der Ausbau des Gefängnissystems; der „Personal Responsibility Act“ soll den Bezug von Sozialhilfe auf zwei Jahre begrenzen und staatliche Hilfe für minderjährige Mütter ganz streichen; der „American Dream Restoration Act“ soll jedem Ehepaar pro Kind eine Steuergutschrift von fünfhundert Dollar verschaffen; die Kapitalertragsteuer soll gesenkt werden, der Einsatz von US-Truppen unter UN-Kommando verboten, die Ausgaben für das Rüstungsbudget, vor allem für Raketenabwehrsysteme, erhöht werden.

„Newts ,Vertrag mit Amerika‘ ist ein Produkt des Wunschdenkens – ebenso verträumt wie teuflisch“, schreibt die linke Wochenzeitung The Nation in ihrer letzten Ausgabe. „Schwindler haben ihn angeboten und gerade mal ein Fünftel der Wählerschaft hat ihn unterschrieben.“ 52 Prozent der Stimmen gingen bei diesen Wahlen an die Republikaner – bei einer Wahlbeteiligung von knapp 38 Prozent. Ein Wählermandat für die „Erneuerung der amerikanischen Zivilisation“ kann Newt Gingrich also ebensowenig in Anspruch nehmen wie seinerzeit Bill Clinton für sein Wahlprogramm „Put People First“.

Doch dies ändert nichts an der Tatsache, daß der zukünftige Sprecher des Repräsentantenhauses in den nächsten zwei Jahren mehr innenpolitischen Handlungsspielraum hat als der Präsident. Aufgrund der neuen Mehrheitsverhältnisse übernehmen die Republikaner den Vorsitz in den Ausschüssen, darunter dem allmächtigen Haushaltsausschuß. Dort soll die Transformation der USA von der „Wohlfahrtsgesellschaft zur Chancengesellschaft“, so Gingrich, vollzogen werden. Man brauche sich gar nicht politisch mit der Administration über staatliche Programme auseinandersetzen. „Wir bezahlen sie einfach nicht mehr.“ Wie tief und wo die Haushaltskürzungen angesetzt werden sollen, darüber schweigt sich Bob Livingston, der von Gingrich ausgewählte Vorsitzende des Haushaltsausschusses noch aus. „Aber seien Sie nicht überrascht, wenn es sehr viel ist. Wir haben sehr lange Messer.“ Aufatmen darf nur das Pentagon. Auf republikanischen Druck hin erklärte sich Bill Clinton letzte Woche bereit, im Kongreß zusätzlich 25 Milliarden Dollar für das Militärbudget der nächsten sechs Jahre zu beantragen.

Aufbruchstimmung und Euphorie der Republikaner in Washington sind also durchaus berechtigt, zumal sie im Gegensatz zu den „Demokraten“ eine gut organisierte Basis an ihrer Seite wissen. „Die christliche Rechte“, erklärte nach den Wahlen Gingrichs Sprecher Tony Blankley, „ist für die Republikaner heute das, was die Gewerkschaften einst für die Demokraten waren. Sie garantiert Mitglieder, Geld und ideologische Überzeugung.“ Neben ideologischer Loyalität zeichnet sie sich auch durch hochmoderne Informationsstrukturen aus: Organisationen wie die „Christian Coalition“ finden sich auf der Information Super Highway ebenso gut zurecht wie High-Tech-Freak Al Gore. Gingrichs Visionen von neuen Märkten für „religiöse“ Software und das „digitalisierte Evangelium“ treffen hier auf lauten Beifall.

„What's left?“ fragt man sich nun auf der Seite der Linken und Liberalen – immer noch benommen vom Schock des Wahltages. Die Partei müsse weiter in die Mitte – sprich: nach rechts – rücken, argumentieren Vizepräsident Al Gore und Funktionäre wie Al From, Vorsitzender des „Democratic Leadership Council“, mit Hilfe dessen Bill Clinton seine nationale Karriere startete. Resigniertes Stöhnen auf seiten der Linken in- und außerhalb der Partei, die den Mitte-rechts-Trend der „neuen Demokraten im Präsidentschaftswahlkampf noch murrend hingenommen hatten.

Sich in der Rolle der besseren „Republikaner zu versuchen, argumentiert Robert Borosage vom „Institute for Policy Studies“, beschleunige den Zerfallsprozeß der Parteibasis nur noch weiter: Die Gewerkschaften sind verbittert über Clintons Freihandelspolitik; afroamerikanische Politiker und Wähler fühlen sich in der Debatte um innerstädtische Gewalt und Armut durch Clintons Law-and- order-Rhetorik verraten; die weiße Mittelschicht, die Clinton gewinnen wollte, liest zwar in der Zeitung vom Wirtschaftsaufschwung, muß sich aber mit schrumpfendem Einkommen abfinden. Nur ein progressives Reformprogramm, sagt Borosage, könne der Partei wieder zur Profilierung verhelfen. „Aber“, fügt er skeptisch hinzu, „diese Administration wird sich kein bißchen nach links bewegen, wenn es keine Linke gibt, auf die man sich zubewegen kann.“

Da bleibt ihm nur die vage Hoffnung, daß sich Bill Clinton einen seiner Vorgänger zum Vorbild nehmen könnte. „Ich mache die nächsten Jahre, was mir paßt“, schrieb Harry Truman 1946, nachdem die Republikaner bei den Kongreßwahlen einen klaren Sieg errungen hatten und Truman etwa so populär war wie Bill Clinton heute. „Sollen sie doch alle zur Hölle fahren.“ Truman forderte in den nächsten Jahren laut und deutlich eine nationale Krankenversicherung, staatlichen Wohnungsbau, die Anhebung des Mindestlohns und Steuererleichterungen für den „armen Mann“. Er geißelte die „wirtschaftliche Diktatur der Wall Street“ und beschimpfte bei Gelegenheit auch die Wähler: „Ich frage mich, wie oft ihr auf den Kopf geschlagen werden müßt, bis ihr herausfindet, wer euch andauernd auf den Kopf haut.“ Zwei Jahre später wurde er wiedergewählt.