„Jede Nacht küss' ich Dich“

Bequeme Zeiten für RTL: Ein Mädchenfanclub sortiert die Liebesgrüße für die Serienakteure von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, darf ab und zu mit ins Studio – und fühlt sich doch nicht wie im Film  ■ Aus Berlin Bascha Mika

„Oft starre ich stundenlang

Dein Foto an,

Du ziehst mich total

in Deinen Bann.

Jede Nacht küss' ich Dich,

doch leider nur im Traum,

und die Tage hasse ich,

denn wahr wird das wohl kaum.“

Patricia grinst. „Noch 'n Gedicht“, kiekst sie und wedelt ihren Freundinnen mit dem Brief vor der Nase rum. „Für wen isses denn?“ fragt Celine und guckt gar nicht erst hoch. „Na, für Wolfgang.“ – „Drittes Fach, rechts“, murmelt Jeanette über ihre Zahnspange hinweg und stopft weiter Autogrammkarten in einen Umschlag. Patricia macht eine halbe Drehung – mehr Bewegung läßt der Schuhkarton, der sich Büro nennt, nicht zu – und versenkt die Liebesgrüße in einem Ablagekorb.

Dort schmachten schon Seufzer für Victoria, Schluchzer für Andreas und Sehnsüchte nach Frank- Thomas. Begehrlichkeiten einer Fan-Gemeinde. Ewig ungestillt und trotzdem jeden Tag befriedigt. Vom Fernsehen. Seit zweieinhalb Jahren und 650 Folgen. Denn Wolfgang und Victoria, Andreas und Frank-Thomas sind Stars von „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ – eine RTL-Seifenoper, die so oft erscheint wie eine quasselfreudige Nachbarin. Werktags immer. Die tägliche Spülung für rund fünf Millionen ZuschauerInnen.

Mit dem Ergebnis werden Patricia und ihre Freundinnen überschwemmt. Es hängt als Klopapier-Endlosbrief von der Decke ihres Kabuffs, klebt als Spruchband an der Wand, stapelt sich vor den toten Augen des Gummikanzlers auf dem Tisch, liegt gehäuft in Kartons auf dem Boden. Fanpost. Gerichtet an die Serien-Akteure und deren „offiziellen“ Fanclub. Der Club – das sind sechs Schülerinnen zwischen dreizehn und sechzehn Jahren. Patricia und Diana, Christana, Jeanette, Anja und Celine. Groupies? „Ach Quatsch“, entrüsten sich die langhaarigen Mädels im Chor, „wir rennen doch nicht hinter den Stars her. Wir sind ganz normal zu denen.“

Ohne Fans keine Stars. Je enger das Publikum an die Schauspieler gebunden wird, desto besser läßt es sich zu begeisterten Suchtknochen abrichten. Dieses alte Hollywood- Prinzip, längst vom Fernsehen gecovert, hat der Privatsender RTL perfektioniert. RTL läßt seine Soap-Freunde nicht nur vor dem Bildschirm gieren, sondern im eigenen Hause agieren. Zumindest sechs von ihnen. Der Club hat seinen Arbeitsraum mitten auf dem Filmgelände in Berlin-Tempelhof, gleich über den Studios, neben dem Büro von Producer Malcolm Thompson. „Das ist absolut super“, frohlockt Thompson, der wie ein melancholischer Storch hinter seinem Schreibtisch hockt, „die Mädchen sind Teil der ,Gute-Zeiten-Familie‘ und vertreten unsere jungen Zuschauer.“

Einmalig in der Medienlandschaft ist diese Symbiose zwischen Produzent und Rezipient. Dabei äußerst praktisch. Für den Produzenten. Was kann er sich Bequemeres wünschen als eine Gruppe, die ihre Phantasiebeziehung zu den Stars in reale Arbeit umsetzt und das passionierte Bindeglied zu den Konsumenten spielt? „Dafür bekommen die Mädchen ja was“, erwärmt sich Thompson, was seinen Trauerfalten gut bekommt, „sie haben einen privilegierten Einblick, aber genießen das Programm wie andere Teenies.“

Wenn andere Jugendliche sich in Sportvereinen austoben, eigene Treffs aufziehen oder sich gesellschaftspolitisch engagieren, öffnen die Fanclub-Girlies Post. Manchmal hundert Briefe am Tag. In einem Acht-Quadratmeter-Raum um einen Tisch gedrückt, befriedigen sie Wünsche nach Autogrammkarten, verschicken Club- Anmeldungen, für dessen Mitgliedschaft sie 25 Mark Jahresbeitrag kassieren, und erstellen alle drei Monate eine Fan-Zeitung, die hundertfach kopiert und dann versandt wird. Eine Arbeit, als wären sie wild auf einen Sekretärinnen- Job. „Ach, Quatsch“, brummen die Sweatshirt-und-Jeans-Teenies, „es ist eben unser Hobby. Nimmt Freizeit weg, macht aber auch Spaß.“ – „Außerdem“, sagt Celine, und jetzt glitzert etwas in ihren Augen, „wollte ich schon immer wissen, was die Fans so schreiben.“

Süchtig nach der RTL-Gleitcreme sind hauptsächlich junge Leute. Auf sie sind die Themen, die Akteure, die Mode abgestimmt. Liebe, Trennung, Ausbildung, Arbeit; hübsche Mädchen, charmante Jungs, ein, zwei Mutter- und Vaterfiguren, ab und zu ein Bösewicht. Alle haben sie serienmäßig ,gute Zeiten, schlechte Zeiten‘. Holzschnittartige Alltagsprobleme in Fast-food-Häppchen, brutal schnell zusammengekloppt. In den extrem ökonomisch eingerichteten Studiokulissen dreht die Produktionsfirma an jedem Werktag eine knappe halbe Stunde ab, das entspricht der einzelnen Folge im Vorabendprogramm.

Bis vor kurzem hat sich nur RTL so penetrant ins deutsche Fernsehheim gedrängt. Doch schon bald wird auf dem Schmierenboden kein Halten mehr sein: RTL hat bereits eine zweite Daily Soap gestartet, das ZDF versucht sich seit drei Tagen in diesem Genre, und ARD, Pro7 und SAT.1 werden Anfang kommenden Jahres einsteigen.

Alle Serien zielen auf den Heftchenroman-Geschmack des Publikums. „Ich wundere mich immer“, spöttelt einer der „Gute Zeiten“- Mitspieler, „wenn mich auch intelligente Abiturienten kennen. Solche Leute gucken uns normalerweise nicht.“ Und normalerweise gucken mehr Mädchen als Jungs. Weibliche Teenies träumen sich stärker in die imaginierte Wirklichkeit mit den Serienhelden hinein. „Mädchen machen sich eben viel mehr 'ne Rübe um Beziehungsnummern“, sinniert eine der Darstellerinnen.

Nicht zufällig besteht auch das Fanclub-Sextett ausschließlich aus Mädchen. „Ich glaube“, überlegt Diana, „für die Jungs ist das einfach nicht cool.“ – „Die neigen nicht dazu, Fans zu sein“, ergänzt Jeanette, „bei denen kommt es nicht so stark zum Ausbruch.“

Doch auch die Clubgirls wurden nicht als RTL-Hilfskräfte geboren. Die Initiative ging von Erwachsenen aus, genauer: von Christanas Mutter. Sie ist Maskenbildnerin bei der Daily Soap. Im Sommer suchten die „Gute Zeiten“-Produzenten Freiwillige für einen Fanclub. Glühende, abgedrehte Besessene können sie nicht brauchen; die würden den Schauspielern nur an den Fersen kleben, ekstatisch die Augen verdrehen und den Betrieb stören. Die dreizehnjährige Christana dagegen ist fast so etwas wie abgeklärt. Und dazu schüchtern. Von ihrer Mutter angestoßen, scharte sie ihre Freundinnen um sich, im September war der neue Club geboren.

„Der Fanclub arbeitet sehr initiativ und intensiv. Wenn es ihn nicht gäbe“, philosophiert Producer Thompson, „dann würde der Sender die Fan-Betreuung übernehmen. Aber der ist natürlich heilfroh, wenn es ein besseres Organ gibt.“

Kein Wunder, daß die Mädchen dem Billigladen RTL lieber sind. Sie arbeiten schließlich umsonst. Und nicht wenig. „Na ja“, überlegt Celine, „so zweimal die Woche bin ich schon hier. Meistens direkt nach der Schule für drei, vier Stunden.“ Wann und wie häufig die Jugendlichen auf dem Filmgelände erscheinen, hängt von der Schule ab. Die geht vor.

„Die Mädchen nehmen uns wahnsinnig viel Arbeit mit der Fanpost ab“, loben auch die Serienakteure einmütig. Und mit einer Herablassung – als wären sie permanent von kreischenden, tobenden, ohnmächtig wimmernden Teenies verfolgt – fügen sie hinzu: „Aber für sie ist es natürlich auch genial. Dafür würden sich Tausende die Beine ausreißen. Sie haben uns ständig hautnah.“ Das ist mehr als übertrieben. Nichts von traulichem Schwatz und Schmus zwischen Fanclub und Serienidolen. Da flitzt gerade ein Spieler am Kabuff vorbei, streckt kurz den Kopf rein, ein Hauch von Rot und Verlegenheit huscht über die Mädchengesichter, der Jungmann schnappt seine Post, zack, weg isser. „Ich kenn' die Mädchen eigentlich gar nicht“, flötet er arrogant. „Die sind wie Heinzelmännchen, die einem die Arbeit abnehmen.“

Auch in die Studios darf der Fanclub nur im Ausnahmefall reinriechen. Jede Ablenkung im rigiden Produktionskorsett ist nur lästig. Doch diese Mißachtung stört die Mädchen nicht – sagen sie. „Wir finden es manchmal blöd, wenn die Schauspieler nicht grüßen“, beschwert sich Celine vorsichtig, fügt aber schnell hinzu: „Na, ja, die meisten machen es ja. Ich glaube, sie haben gar nicht die Zeit, mit uns zu reden.“ Und weil die sechs den Starkult souverän mißachten, schwärmen sie natürlich auch nicht für die männlichen Darsteller, sondern finden sie höchstens ganz nett und lustig.

„Ich glaube, wir sind gar nicht so richtige Fans.“ Das hat Jeanette gesagt. Anja kichert, Diana wiegt bedenklich den Kopf, Christana versteckt sich hinter ihrer braunen Mähne, Patricia kann mal wieder den Schnabel nicht halten. „Ich finde Fans hysterisch und aufdringlich. Wir sind nicht so bekloppt wie die, die stundenlang draußen vor dem Filmgelände warten.“ – „Wir haben die Serie zwar auch schon früher gesehen“, erzählt Celine, „aber so richtig begeistert...“ – „Ich hab' hier schon mein Berufspraktikum gemacht“, erwähnt Jeanette nüchtern, „ich interessiere mich fürs Fernsehen.“

Und dann setzt Diana dem Realitätsprinzip der Girlies noch eins drauf. „Ich will hier Erfahrungen sammeln fürs Leben“, sagt sie so gar nicht verzückt, „das erhöht die Berufschancen. Mein Vater war eine ganze Zeit arbeitslos, meine Mutter auch. Ich hab' unheimlich Angst, später einfach so dazustehen und nichts zu haben.“

Patricia hört schon nicht mehr hin. Sie hat sich den nächsten Erguß eines Fans geschnappt. Mit einer halben Drehung läßt sie ihn in den Ablagekorb flattern. Noch 'n Gedicht.

„Es kam ein Mädchen mit

langem Haar

und fand den Tommy wunderbar

und so schnell es auch geschah,

verliebte sich das Mädchen

zum allerersten Mal.“

Unter dem Motto „Die tägliche Spülung“ behandelt die taz in einer Artikelfolge auf ihrer Medienseite die zunehmende Vorliebe des Fernsehens für Daily Soaps.