„In der Türkei wird gefoltert“

■ Interview mit Jörn-Erik Gutheil, Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche Rheinland, zu Menschenrechten in der Türkei

taz: Herr Gutheil, die Bundesregierung behauptet, den in die Türkei abgeschobenen Kurden und Christen drohe dort kein Unheil. Sie waren jetzt mit einer Delegation des NRW-Innenministeriums vor Ort. Wie beurteilen Sie die Lage?

Jörn-Erik Gutheil: Eins vorweg: Den Abschiebestopp als Gruppenschutz wieder in Kraft zu setzen, wäre die beste Lösung. Das ist nach wie vor der Wunsch unserer Kirche. Die Lageberichte des Auswärtigen Amtes, die bei der Entscheidung über die Asylgewährung eine wichtige Rolle spielen, sind unzureichend. Deshalb machen sich jetzt die Landesregierungen selbst vor Ort ein Bild. Dazu diente auch unsere Reise. Wir haben mit Vertretern von regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisationen ebenso gesprochen wie mit Mitarbeitern des türkischen Staatsministeriums für Menschenrechtsfragen. Grundsätzlich wird man sagen müssen, das wird auch von den türkischen Regierungsstellen gar nicht bestritten, es gibt Folter in der Türkei. Und es kann nicht ausgeschlossen werden, daß aus Deutschland abgeschobene Asylbewerber der Folter unterworfen werden.

SPD-Innenminister Herbert Schnoor hat die Menschenrechtsorganisationen aufgefordert, die konkrete Verfolgung von abgeschobenen Personen zu belegen. Ihm sei – trotz zahlreicher Abschiebungen – nicht ein einziger Fall bekannt geworden. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?

Wir haben keine direkte Erfahrung mit Einzelfällen gemacht. Ich glaube Schnoor zunächst einmal, aber man darf daraus nicht schließen, es sei alles in Ordnung, denn die individuelle Informationsgewinnung gestaltet sich äußerst schwierig. Jede abgeschobene Person, die zum Beispiel in Istanbul landet, wird zunächst einem sehr nachdrücklichen Verhör unterzogen. Das kann nach den gesetzlichen Bestimmungen 24 Stunden dauern. Ganz anders sieht das bei Menschen aus, denen vorgeworfen wird, in Deutschland „antitürkische, separatistische Propaganda“ betrieben zu haben, oder die in irgendeiner Weise in Bezug zur PKK zu stehen. Diese Menschen fallen in die völlige Rechtsunsicherheit. Sie können bis zu 15 Tage ohne anwaltlichen Schutz von den Sicherheitsbehörden „verhört“ werden.

Konnten sie in diesem Bereich Einzelfällen nachgehen?

Wir haben keine Einzelfälle besprochen, aber es gibt eine Publikation der türkischen Menschenrechtsstiftung, in der dokumentiert wird, daß von 1980 bis 1994 in der Türkei 420 Menschen unter Folter zu Tode gekommen sind.

Darunter auch Menschen, die abgeschoben wurden?

Das kann ich nicht sagen. Entscheidend ist: Diese Dokumentation, die am 12. September ordnungsgemäß erschienen ist, wurde im Oktober bereits verboten. Mitarbeiter der Stiftung sehen sich inzwischen einer Anklage nach den Sicherheitsgesetzen ausgesetzt. Ihnen drohen zwei bis fünf Jahre Haft.

Kann man in dieser Situation die Sicherheit der abgeschobenen Menschen garantieren?

Nein, das scheint mir nicht möglich. Wer aber dennoch Menschen in eine solche Umgebung abschieben will, muß zumindestens möglichst viele Sicherheiten einbauen. Man könnte etwa die deutschen diplomatischen Vertretungen in der Türkei beauftragen, sich um den Verbleib der abgeschobenen Menschen zu kümmern. Es wären auch vertragliche Regelungen mit Anwälten in der Türkei denkbar. Schließlich ist die türkische Regierung sehr stark daran interessiert ist, ihr Negativbild im Ausland zu verbessern. Absolute Sicherheit gewönne man aber auch dadurch nicht. Interview: Walter Jakobs