Der „Neid auf die reichen Juden“

Stolz waren die Busenberger, daß auf ihrem jüdischen Friedhof alles „so in der Reih' war“. Nun müssen sie auf die Reihe kriegen, daß die Grabsteine umgestoßen worden sind  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Dahn/Busenberg (taz) – Paul Keller (SPD) steht mit zwei Kollegen aus der Gemeindevertretung fassungslos auf dem alten jüdischen Friedhof von Busenberg. „Ich kann nicht begreifen, wie Menschen so etwas tun können“, sagt Keller immer wieder und schüttelt dabei den Kopf. Und der inzwischen aus Altersgründen aus dem Gemeinderat ausgeschiedene Vertreter der Freien Wählergemeinschaft, der seinen Namen „aus Angst vor den Tätern“ nicht nennen will, weint. „Wir waren immer so stolz darauf, daß der Friedhof so ,in der Reih'‘ war.“ Paul Keller verweist stumm auf die kleine Gedenktafel an der eisernen Pforte zum Friedhof: „Mögen die hier bestatteten Menschen für alle Zeiten in Frieden ruhen.“

„In der Reih“ ist hier nichts mehr. Und von „Frieden“ kann keine Rede sein. Noch unbekannte Täter haben mehr als 50 Grabsteine umgetreten oder umgestoßen und die standhaften Stelen mit Hakenkreuzen und nazistischen Parolen besprüht: „Juda verrecke!“, „Tod allen Juden!“ Aus dem Ort, da sind sich die zwei alten Männer sicher, seien die Täter nicht gekommen. Der „Judenforscher“ Otmar Weber, sagt Keller, habe ihren Judenfriedhof mit seinem Büchlein „Erlenbacher Juden“ und mit zahlreichen Artikeln in den Lokalzeitungen schießlich über die Grenzen der Region hinaus bekannt gemacht. Die „Verrückten“ (Keller) seien in Pirmasens oder Kaiserslautern, in Karlsruhe „oder vielleicht auch in Frankreich“ zu suchen. Einen Tag lang haben Beamte des LKA und der Kriminalpolizei Spuren gesichert. Gefunden haben sie einen Fußabdruck und vielleicht Blutspuren auf dem Grabstein eines Juden aus Busenberg, der 1938 in die USA emigriert war. Der Mann, sagt Keller, habe Ende der 60er Jahre, kurz vor seinem Tod, testamentarisch verfügt, daß er auf dem Friedhof von Busenberg beigesetzt werden wolle. Auf dem Grabstein zu lesen ist nur noch sein Name: Levij. Denn schon sechs Jahre vor der Schändung hatten Unbekannte die Marmorplatte mit der Inschrift auf der Stele mit einem Hammer zertrümmert.

Der „Neid auf die reichen Juden“ sei noch immer das Motiv für die Täter, mutmaßt auf dem verwüsteten Friedhof ein anderer älterer Bürger aus Busenberg. Neid auf die reichen Juden? In der Verbandsgemeinde Dahn mit den Ortsteilen Busenberg und Erlenbach lebt heute kein einziger Jude mehr.

In Dahn, Busenberg und Erlenbach gab es vor dem Holocaust die größte jüdische Gemeinde in der Pfalz. In Dahn wurde schon 1815 eine Synagoge geweiht. Und nur wenige Jahre später eine israelitische Schule („Judde-Schul“) gebaut. Darüber, daß die Synagoge im benachbarten Erlenbach schon vier Wochen vor der sogenannten Reichskristallnacht geplündert und zum Teil zerstört wurde, will man in der Verbandsgemeinde auch heute noch nicht sprechen. „Das alles ist ein Tabuthema“, sagt der junge Mann vom Zeitungsladen in Dahn. Ältere Kunden habe er verloren, als er vor Jahresfrist das Büchlein von Otmar Weber über die „Erlenbacher Juden“ in sein Schaufenster gelegt habe. Gekauft hätten den Band und die anläßlich des „Heimattreffens“ ehemaliger jüdischer MitbürgerInnen 1991 in Dahn erschienene Schrift über die Dahner Synagoge ohnehin nur Menschen seiner Generation. Ein älterer Bürger mischt sich ein. Man müsse das verstehen, sagt er. Das seien doch „uralte Geschichten“, von denen heute keiner mehr etwas wissen wolle. Er persönlich habe nichts gegen Juden, „aber die Israelis haben doch auch Dreck am Stecken“. Und ohnehin müsse man sich heute viel mehr um die mörderischen Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien kümmern. Und der verwüstete jüdische Friedhof? „Dumme Jungen“ seien das wohl gewesen, sagt der Kunde und bezahlt seine Bild-Zeitung.

Die rechten Zeitungen wie die Nationalzeitung und die Junge Freiheit wüden gut gehen in Dahn, erzählt der Zeitschriftenhändler, dessen Großvater vor dem Krieg der einzige Friseur am Ort war. Der durfte nach dem Erlaß der „Rassengesetze“ keinem Juden mehr die Haare schneiden. Weil sich der Opa aber nicht an die Vorschriften gehalten habe, sei er dann im Krieg in eine Strafkompanie gekommen. In der Bevölkerung hieß es damals, der „Judenfreund“ habe seine „gerechte Strafe“ erhalten. Daß es 50 Jahre nach dem Holocaust noch immer Antisemitismus gibt, weiß man im Gemeinderat. Als Bürgermeister und Gemeindevorstand zum Volkstrauertag 1994 einen Kranz auch für die jüdischen Opfer von Terror und Krieg niederlegten, wurden sie von einer älteren Mitbürgerin angefaucht: „Der Kranz für die Judde, der hat hier nix verloren.“

Die Täter seien nicht aus der Region, hatten die Gemeindevertreter behauptet. Und Skinheads oder andere Rechtsradikale seien in der Verbandsgemeinde noch nicht gesichtet worden. Doch für die „Republikaner“ lagen bei den Bundestagswahlen allein in Busenberg mit seinen 1.400 Seelen 20 Stimmen in der Wahlurne. Vor einem Jahr waren in der Region mehrere junge Männer festgenommen worden, die wegen ihrer brutalen Angriffe auf Asylbewerber zu Haftstrafen verurteilt wurden.

Dahn, Busenberg und Erlenbach – drei ganz normale Gemeinden im größer gewordenen Deutschland. Von 1988 bis 1992 wurden in Rheinland-Pfalz 35 Straftaten an jüdischen Mahnmalen, Synagogen oder Grabstätten gezählt, wie das Innenministerium in Mainz auf eine Anfrage der Bündnisgrünen im Landtag Ende November mitteilte. Aufklärungsquote: 14,3 Prozent.