„Das sind alles Pawlowsche Reflexe“

■ Peter Glotz zur sogenannten Modernisierungsdebatte in der SPD

Bonn (taz) – Aus Niedersachsen kam seltenes Lob: „Die SPD muß Scharpings Kurs folgen“, befand Gerhard Schröder, nachdem der SPD-Chef kürzlich vor dem Seeheimer Kreis in Tutzing gefordert hatte, den Sozialstaat zu modernisieren und die Wirtschaftspolitik stärker zu betonen. Unterstützung bekam er von Geschäftsführer Günter Verheugen. Der plädiert in seiner Wahlanalyse dafür, sich nicht nur um die Verteilung von Leistungen zu kümmern, sondern auch um jene Gruppen, die an „Produktionsfragen“ interessiert seien und sich um die Leistungskraft der Wirtschaft sorgten.

Bündnisgrüne und PDS werteten das „Tutzinger Signal“ als Beweis, daß sich die SPD von ihrer Rolle als Vertreter der Benachteiligten verabschiedet hat. Auch die SPD-Linke schlug Alarm. Die taz fragte den SPD-Abgeordneten Peter Glotz nach dem Kurswechsel.

taz: In der SPD wird wieder eine Modernisierungsdebatte geführt. Wenn man die Tutzinger Rede Scharpings und die Wahlanalyse Verheugens liest, fällt auf, daß die Vorschläge vage und allgemein sind. Um was geht der Streit denn konkret?

Peter Glotz: In der SPD wird keine neue Modernisierungsdebatte geführt. Es findet ein publizistisches Hickhack statt, an dem manche von uns selber schuld tragen. Das Thema Modernisierung der Wirtschaft war schon in unserem Regierungsprogramm kompetent ausgeführt. Auch die wichtige These, daß wir uns nicht nur um Verteilung, sondern auch um neues Wachstum kümmern müssen, ist von Oskar Lafontaine, Gerhard Schröder und Claus Noe oft und zutreffend formuliert worden. Ich sehe nicht, was nach der Wahl Neues zu diesem Thema hinzugefügt werden müßte. Übrigens: Schon vor mehr als zehn Jahren habe ich als SPD-Bundesgeschäftsführer auf die Notwendigkeit hingewiesen, technische Intelligenz, leitende Angestellte und auch moderne Unternehmer, etwa aus dem Bereich der Elektronik, für die SPD zu gewinnen.

Aber wenn Scharping mit bestimmten Stichworten ausgerechnet vor dem Seeheimer Kreis auftritt, also den Parteirechte, muß das doch als Signal verstanden werden?

Nein. Aber vielleicht sollte man sich nicht wundern, wenn ein bestimmter Rahmen zu bestimmten Reaktionen in der Publizistik führt. Gelegentlich sind das allerdings nur Pawlowsche Reflexe – auch in der SPD selbst.

Sie meinen, sobald in der SPD das Thema Stärkung der Wirtschaft angesprochen wird, drischt die Linke darauf ein?

Ich würde nicht sagen, die Linke drischt darauf ein. Aber es gibt Traditionalisten, die sofort die Stacheln aufstellen, sobald sie das Wort „Unternehmer“ oder einen Begriff wie „Wirtschaftsrat“ oder „Wachstum“ hören. Die gegenwärtige Debatte ist Folge dieses Reiz-Reaktion-Schemas.

Wußten denn die eigenen Leute nicht, daß die SPD auf dem Gebiet der Wirtschaft kompetent sein will? Schließlich gab es auch im SPD-Vorstand und in der Bundestagsfraktion Widerstand.

Es gibt eben immer wieder Leute, die solche Papiere nicht systematisch lesen und sensibel reagieren, wenn ein bestimmtes Begriffsraster verletzt wird.

Leistet Scharping nicht solchem Verdacht Vorschub, wenn er sagt, die SPD wolle kein Betriebsrat der Gesellschaft sein?

Die Feststellung, daß die SPD nicht nur als Betriebsrat agieren kann – also nicht nur den defensiven Schutz von Arbeitnehmern betreiben muß, sondern auch aktiv in die strategischen Debatten um Zukunftsindustrien eingreifen muß – ist ebenfalls nicht neu. Unbestreitbar ist doch, daß wir den Schwachen nicht helfen können, wenn wir nicht bei den Starken stark sind.

Dann hat die SPD mit einer unnötigen Diskussion den politischen Konkurrenten von links eine Steilvorlage gegeben, die ihr nun vorwerfen, jegliche soziale Verantwortung aufzugeben?

Ich bin zwar nicht sicher, daß Rudolf Scharping bei der Tutzinger Rede, die er aus dem Stegreif gehalten hat, die Reaktion vorhergesehen hat, die dann entstanden ist. Aber eine Steilvorlage hat er damit niemandem gegeben. Tatsache ist doch: Von Kurswechsel oder völlig neuen Akzenten kann gar keine Rede sein. Es ist eine Kontroverse, die wir in der SPD zwischen Modernisierern und Traditionalisten seit langem austragen. Ich vermute, daß das in den kommenden Jahren noch oft passieren wird.

Interview: Hans Monath