Die mit dem Hammer philosophieren

Bildhauer Hrdlicka wünscht Biermann im „ND“ die Nürnberger Rassengesetze an den Hals / Broder zeigt Hrdlicka wegen Volksverhetzung an / Jüdischer Historiker Schoeps unter Beschuß  ■ Von Sylke Tempel

Berlin (taz) – Dichter und Liedermacher sind meist bekannt wegen ihrer zärtlichen Sprache. Nicht so Wolf Biermann. Gregor Gysi bezeichnete er kürzlich als „Verbrecher, nicht nur einen 99,9-, sondern einen 100prozentigen“. Stefan Heym fing sich von Biermann das Prädikat „Feigling“ ein, weil der Schriftsteller aus Furcht um seine Westreisen eine Unterschrift unter eine Solidaritätserklärung für Robert Havemann verweigert haben soll.

Der Bildhauer Alfred Hrdlicka ist dafür bekannt, daß er schwer zulangen kann, nicht nur im Gebrauch von Hammer und Meißel. In einem „Offenen Brief an Wolf Biermann“, der im Neuen Deutschland (24. 11.) abgedruckt wurde, bezeichnet er Biermann unter anderem als Arschkriecher, Dichterling, Denunziant und 100prozentigen Schwachkopf. Auch nicht schön und schon gar nicht besonders fein. Dem Bildhauer entfuhr aber noch ganz anderes: „Du willst mit keinen Gesetzen leben, die Gysi beschließt?! – Ich wünsche Dir die Nürnberger Rassengesetze an den Hals.“ Vorsichtshalber hat Hrdlicka Biermann einen Satz vorher aufgefordert, „das Schicksal deiner und meiner Angehörigen einmal wegzulassen“. Theoretisch, sozusagen. Denn praktisch waren die Nürnberger Rassengesetze die Voraussetzung für die Verfolgung und Ermordung vieler Millionen Menschen, unter anderem auch von Wolf Biermanns Vater. Wäre ein solcher offener Brief in der Jungen Freiheit abgedruckt worden, die Sache wäre sofort ein Skandal gewesen. Doch es waren die Redakteure des ND, eines Blattes, das etwas auf seine antifaschistische Tradition hält, die den offenen Brief abdruckten. Und es handelt sich um einen Autor, der in Wien ein Mahnmal zur Erinnerung an die Verfolgung der Wiener Juden schuf und der sich als antifaschistisch versteht. Wer links ist, so der alte Aberglaube, kann per se nicht Antisemit sein.

Während in der Bundesrepublik – bis auf einen Artikel Henryk M. Broders im Tagesspiegel, in dem er Hrdlicka als „linken Nazi“ bezeichnet und die „Abräumung des Wiener Denkmals“ fordert, da die Opfer schon genug verhöhnt worden seien – die Sache weitgehend unbemerkt blieb, hat sie sich in Österreich mittlerweile zu einem handfesten Skandal entwickelt. Nicht zuletzt deshalb, weil dem Bildhauer Schützenhilfe von unerwarteter Seite zukam. Julius H. Schoeps, Leiter des jüdischen Museums Wien und des „Moses- Mendelssohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien“ in Potsdam, schrieb Hrdlicka, daß er ihm „zu diesen direkten Worten gratulieren möchte“. Offensichtlich hat der jüdische Historiker, dessen Studenten in der Geschichte des deutschen Antisemitismus unterrichtet werden, vergessen, daß solche „direkten Worte“ vor 50 Jahren in „direkte Verfolgungsmaßnahmen“ mündeten. Das fiel ihm erst wieder ein, nachdem sein Brief an Hrdlicka in Wien publik wurde. In seiner Erklärung vom 7. 12. will das alles nur noch ein Mißverständnis gewesen sein: „Meine Zustimmung bezieht sich auf den Tenor des Briefes, nicht jedoch auf einzelne Formulierungen. (...) Würde ich einem solchen Satz zustimmen, wäre das geradezu abenteuerlich, zumal wenn man bedenkt, daß der Großteil meiner Familie aufgrund der Nürnberger Rassengesetze in Auschwitz vergast worden ist. Dessen ungeachtet muß ich aber feststellen, daß ich nach wie vor Hrdlickas Empörung teile, und zwar über eine Reihe von Bemerkungen, die Biermann in der letzten Zeit öffentlich über Marcel Reich-Ranicki, Gregor Gysi und Stefan Heym verlauten ließ. (...) Die Äußerungen Hrdlickas sind nach meiner Ansicht der Versuch, Biermann mit Biermann gleichzusetzen.“

Auch Ralf Zwengel, persönlicher Referent Stefan Heyms, kann nichts Verwerfliches an Hrdlickas Äußerungen finden. Die Gesetze der Nazis seien eben die Folge, so zitiert ihn die Wiener Tageszeitung Standard (6. 12.), „wenn man wie Biermann die demokratisch beschlossenen nicht akzeptieren“ könne.

Hrdlicka ist das mittlerweile alles eins. In einem Interview im österreichischen Sender ORF (5.12.) bezichtigte er Biermann wegen dessen Kritik an Heym des „Antisemitismus, den er sich leisten kann, weil er doch das Alibi hat, daß sein Vater Jude war. Das finde ich besonders dreckig!“ Wer aber glaubt, Hrdlicka sei aus purer Sympathie für Heym gegen Biermann ausfällig geworden, der irrt. Pikanterweise verkündete der Bildhauer im Anschluß an einen Vortrag Henryk M. Broders (6. 12.) in Wien, „Biermann, Gysi, Heym sitzen im rassisch selben Boot“. Unterdessen hat Broder bei der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Hrdlicka Anzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Und in der jüdischen Gemeinde Wiens fragt man sich bereits, ob als Direktor eines jüdischen Museums jemand tauglich ist, der fähig ist, einen Satz wie „Ich wünsche dir die Nürnberger Gesetze an den Hals!“ zu übersehen, wenn er Zustimmungsbriefe verschickt.