Ein Senator aus dem Volk

■ Ganz nah dran und doch weit weg: Baubehördenchef Eugen Wagner pflegt in der Großsiedlung Kirchdorf-Süd Image und Feindbilder Von Uli Exner

Steht er also mitten im Volk und müht sich, seinem Image gerecht zu werden. Eugen Wagner, der Populist. Der, der ganz nah dran ist an den „kleinen Leuten“. Der, der noch ihre Sprache spricht. Dafür sorgt, daß zwischen den stelzigen Juristen, die heutzutage in Hamburg Politik machen, sich wenigstens einer findet, der noch Bodenhaftung hat.

Der Bausenator wippt. Zehenspitze, Ballen, Zehenspitze, Ballen. Möchte da einer lieber doch ein Stück größer wirken als die, die da vor ihm sitzen? 150 Menschen haben sich in das holzvertäfelte Freizeithaus von Kirchdorf-Süd gezwängt, das so gar nicht zu den umstehenden Betonriesen der Großsiedlung passen mag. Wütend sind sie. Wegen der vom Senat verfügten „Streichung der Nachsubventionierung für Sozialmieten“. Mieterhöhung heißt das für die meisten in Kirchdorf-Süd. Bis zu zwei Mark mehr pro Quadratmeter.

Fels in der Brandung. Das Saalmikrofon weit von sich gestreckt, die Hand (soll es lässig wirken?) in der Sakkotasche, streift Wagner durch die Stuhlreihen. Er braucht keinen Moderator, kein Rednerpult, hinter dem er vor mißliebigen Fragen Schutz suchen könnte. Jede Bewegung, jede Geste, jede Antwort signalisiert, daß der Bausenator eigentlich alles im Griff hat: Die knappen Finanzen der Stadt – „ich sag' Ihnen erstmal, warum Hamburg zu Einsparungen greifen muß“. Das unwürdige Leben in einer Großsiedlung – „ich habe mir die Mühe gemacht, einmal zusammenzutragen, was der Senat schon alles geleistet hat in Kirchdorf-Süd“. Die viel zu hohen Mieten – „ich bin mir längst im Klaren, daß das Wohngeld erhöht werden muß“. Zehn Menschen in einer Wohnung, selbst ein Schaf in der Badewanne – „werde ich mir einmal genauer ansehen“. Ich. Ich. Ich.

Wagner ist eben einer von ihnen. Muß in seiner Behörde „wegen der unerwartet hohen Kosten der deutschen Einheit“ ebenso sparen wie die Mieter von Kirchdorf-Süd wegen der unerwarteten Mieterhöhung. Schafft es allen Widrigkeiten zum Trotz, irgendwie 1,7 Milliarden Mark für den sozialen Wohnungsbau locker zu machen, wie die Kirchdorfer es irgendwie schaffen, mit 700 Mark eine Familie zu ernähren. Und wenn Wagner doch mal nicht helfen kann – ist dann nicht ebenso die böse, böse Bundesregierung schuld, wie bei den Kirchdorfern der böse, böse Senat? Hilf dir selbst – und wenn das nicht hilft, muß wohl ein anderer schuld sein.

Vielleicht ist es gerade dieses gemeinsame Weltbild, das dafür sorgt, daß die Mieter aus Kirchdorf Wagner so gar nicht verstehen, daß Wort Widerwort gibt, daß Bausenators Erläuterungen von den Mietern abprallen wie die Vorwürfe der Mieter vom Bausenator. „Was interessiert uns Ihr Haushalt,“ giftet ein Kirchdorfer, als Wagner zum wiederholten Male versucht, die Mieterhöhung mit der siechen Landeskasse zu erklären, „es geht um unseren Geldbeutel“. Wenn Wagner doch sonst alles wuppt, warum kann er uns dann nicht das Portemonnaie füllen? „Für den Transrapid habt ihr doch Geld!“

„Wir sind ein Bundesland in Deutschland“, setzt Wagner noch einmal an, die Zusammenhänge zwischen deutscher Einheit, Finanznöten des Senats und Geldbeutel der Mieter zu erläutern – und beweist aufs Neue, daß einen Hamburger Senator so viel nicht unterscheidet von einem Kirchdorfer Mieter. „Der Transrapid kostet Hamburg ja nix,“ sagt Wagner, um im selben Atemzug zu beklagen, „daß sich der Bund ständig bei Ländern und Gemeinden refinanziert“. Das Hemd sitzt auch ihm allemal näher als der Rock.

Wundert es da, daß sich die unversöhnlichen Lager näher kommen, wenn sich endlich doch noch ein gemeinsames Feindbild findet? Die Sozialhilfeempfänger, denen es „viel besser geht, als denen, die arbeiten.“ Das wissen alle Kirchdorfer – und auch Wagner hat schon davon gehört, „daß es da eine Schieflage“ geben soll. „Dem werde ich mal nachgehen.“

Volksnah dieser Bausenator.