Theater mit "Start"-Hemmungen

■ Leichter geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Bremer ins Theater: Der neue Computer des bremischen "Ticket-Service-Centers" löst am Theater eine "Publikumskatastrophe" aus

Theaterkarten scheint's in Bremen nur auf dem Schwarzmarkt zu geben. Mehrfache Telefonversuche endeten im Besetzzeichen der Abo-Abteilung und Tageskasse des Theaters. War die Leitung nicht belegt, meldete sich die automatische Ansage des Vortages, die darauf hinwies, daß die Kasse morgen ganz sicher geöffnet sei. Man könnte meinen, ein Besuch des Theaters soll regelrecht verhindert werden. Das sehen Klaus Pierwoß, Intendant des Bremer Theaters und Verwaltungsdirektor Rolf Rempe genauso, erfuhren die erstaunten TeilnhemerInnen einer Pressekonferenz am Mittwoch.

„Ich hatte nicht damit gerechnet, daß es so etwas geben könnte wie diese Situation an der Kasse,“ zeigt sich Pierwoß sichtlich geknickt. Da hat er nun in vier Wochen elf Premieren plaziert, doch statt dafür gefeiert zu werden, muß er zeitweilig „durch den „Hintereingang ins Theater“ schleichen. Denn vorne im Kassenraum ist er übelster Publikumsbeschimpfung ausgesetzt: Der Neuling habe wohl „keine Ahnung von Computern“, munkelt die Menge und riet ihm mehrfach, „doch mal einen Kartenverkaufskurs“ zu absolvieren. Doch Schuld an der desolaten Billetsituation haben weder er noch Remke, versichern beide, Schuld habe vielmehr das Ticket-Service-Center (TSC) der Sparkasse.

Seit 1988 ist das TSC zuständig für Kartenverkauf und die Betreuung der AbonnementskundInnen. Dafür wurde das TSC, unterstützt vom Wirtschaftsressort und der Sparkasse, mit einem 1,5 Millionen Mark schweren Computer ausgerüstet.

Doch der reicht angeblich den Anforderungen nicht mehr, zukünftig soll es nämlich auch MünchnerInnen möglich sein, vor Ort ein Ticket für sämtliche Kulturveranstaltungen in Bremen zu erstehen. Das TSC beschloß daher, sich dem damaligen Konkurrenten „Start“ anzugliedern, der bundesweit größten Verkaufs-Organisation mit Sitz in Frankfurt. Rechner und Software wurden dem TSC sowie dem Theater von dort als „die Technik des Jahres 2000“ angepriesen, für die selbst die komplizierte Abo-Betreuung ein Klacks sei.

Unter dem Vorsitz der Kultursenatorin Trüpel stimmte der Aufsichtsrat des Theaters den Plänen des TSC zu, mit „Start“ in die neue Spielzeit zu gehen. Das Theater selbst hätte lieber dem „CTS-System“ den Vorzug gegeben, das bundesweit im Abo-Bereich seit Jahren erfolgreich arbeitet. Doch schließlich gab man dem Druck des Aufsichtsrates nach, der dem Theater vorwarf, aus dem Bremenverbund ausbrechen zu wollen, akzeptierte die neue Hightec und ließ auf eigene Kosten für 20.000 Mark neue Leitungen durchs Theater ziehen. Doch dann kam der Crash:

Wenige Tage vor dem Spielwechsel teilte „Start“ mit, daß die Abo-Betreuung nicht mit dem neuen System bearbeitet werden könne und bot stattdessen eine arbeitsaufwendige „Hilfslösung auf fünf Krücken“, erklärt Rempe. Die Folge: Die Abonnements konnten nicht rechtzeitig gebucht werden, was auch den Verkauf normaler Eintrittskarten massiv behinderte. Denn bevor nicht die letzte Abokarte eingetragen ist, kann der möglicherweise schon besetzte Platz nicht verkauft werden. Obgleich das Theater eine sofortige Urlaubssperre verhängte, um die Technikfehler per Hand zu bereinigen, wurde das letzte Abo erst Ende November verschickt. „Wir hatten ja nicht einmal mehr die Adressen der Abonnenten“, schimpft Rempe, dem es nicht in den Kopf will, warum das TSC die alte Technik nicht wenigstens drei Monate parallel laufen ließ.

Es kam zu Doppelbuchungen, zu „ausverkauften Vorstellungen“, obgleich noch eine Menge Plätze frei waren, alles geriet durcheinander. Das einzige mit Klarheit: Wenn Werder, TSC, Theater oder eine der Außenverkaufsstellen des TSC etwa in Syke gleichzeitig einen Ausdruck machen ließen, kam es regelmäßig zu Systemabstürzen. Es konnten kaum Vorbuchungen vorgenommen werden, die Werbung für bestimmte Stücke verhallte durch „Start“ im Leeren. Selbst der Direktverkauf in der Kassenhalle nahm ob der miesen Software mit vier Minuten pro Bestellung so viel Zeit in Anspruch, daß Vorstellungen verschoben werden mußten. Potentielle BesucherInnen wurden nach Hause geschickt, weil man noch nicht wußte, ob man ihnen in 14 Tage einen Platz reservieren kann. „Die Leute müssen ja denken, man tickt nicht richtig“, kommentiert Pierwoß.

Seit „Start“ zählen auch Kassenprotokolle zur Vergangenheit. Der Intendant wartet seit dem 13. Oktober auf Statistiken über Besucherzahlen: „Da macht man ein neues Stück und hat keine Ahnung, wie es überhaupt angenommen wird.“ Pierwoß und Rempe sehen den Rubikon überschritten. „So kann es nicht weitergehen.“ Trotz Überstunden der MitarbeiterInnen, die, um Systemabstürzen vorzubeugen, vorwiegend nachts arbeiten flattern täglich neue Abo-Kündigungen ins Haus. Das bedeutet einen Verlust von 8-10 Karten pro Abo. Neben dem materiellen wiegt der Imageverlust noch um einiges schwerer, und wird, fürchten Rempe und Pierwoß, kaum aufzuholen sein.

Die Verantwortlichen aber ziehen sich aus der Affaire. Ein Brief an den Geschäftsführer des TSC, Ulrich Nölle, blieb bislang unbeantwortet. „Dieses Verhalten ist praktizierte Verantwortungslosigkeit“, schimpft Pierwoß, und stellte zudem die Rentabilität des ganzen Nölle-Unternehmens in Frage: Zwar muß das Theater sämtliche Karten über den TSC abrechnen, doch von 160.000 Karten der Spielzeit –92 wurden lediglich 8% in den TSC-Verkaufsstellen umgesetzt. „Und dafür haben wir noch 200.000 Mark Provision, also 30 Mark pro Karte, gezahlt“, rechnet Pierwoß und hält die 2 Millionen Mark dagegen, die das Theater einsparen soll. Doch auch den eigenen Aufsichtsrat schont er nicht, der sich in dezentem Nichtstun ergebe. Der Intendant registriert dort „einen Kontrast zwischen dem massiven Interesse, die neue Technik durchzusetzen und der Interesselosigkeit an den damit verbundenen Problemen. Damit werden wir richtig hängengelassen.“

Immerhin wird am Wochenende ein neuer Hilfscomputer installiert. Daß der den Zündstoff aus der am 20.12. stattfindenden Aufsichtsratssitzung nimmt, ist nach den bisherigen Erfahrungen kaum zu erwarten. Dora Hartmann