„Nur gestunken hat das Zeug“

■ Erich Bollmann wühlte bei Toschi im Asbest. Entschädigung bekam er nur für die letzten drei Lebensmonate / Serie „Asbest – die geleimten Opfer“ (2)

„Wie sich Asbest anfühlt? Wenn Sie da reinfassen, merken Sie überhaupt nichts. Asbest ist ganz leicht und fliegt, wie Watte oder Federn – da müssen Sie ganz langsam arbeiten, damit Sie es überhaupt da hinkriegen, wo es hinsoll.“ Inge Bollmann, 62, hat bei Toschi gearbeitet. Ja, beim Asbestzementplatten-Toschi in Hemelingen.

In den 80ern, als die Firma längst dicht gemacht hatte, schlug sich Bremen noch mit dem asbestverseuchten Gelände herum. Inge Bollmann hat dort „nur“ drei Jahre gearbeitet, bei den Blumenkästen und den Wellblechdächern zum Beispiel. Ihr Mann jedoch bog bei Toschi von 1948 bis 1965 „Krümmer“, Rohrverbindungsstücke, oder stand am Koller, wo Asbest mit Zement gemischt und dann zu Platten geformt wurde.

Lästig am Toschi-Job fanden beide eigentlich nur den Geruch, der aus den Kleidern nicht wegzukriegen war. „Da konnte man nicht abens noch schnell einkaufen gehen“, sagt Inge Bollmann. Daß Asbest giftig ist, sagte ihnen niemand.

1972 schließlich bestellte das Gesundheitsamt ehemalige Toschi-ArbeiterInnen zur Lungenuntersuchung. Asbestose, lautete die Diagnose für Erich Bollmann: Die unverwüstlichen Asbestfasern hatten zu einer Verhärtung der Lunge geführt. Eine wesentliche Störung der Lungenfunktion erkannten die ÄrztInnen nicht. Eine Entschädigung zahlt die Berufsgenossenschaft erst bei einer „Minderung der Erwerbsfähigkeit“ (MdE) um 20 Prozent.

Alle drei Jahre sollte sich Erich Bollmann dem Lungenfacharzt vorstellen. Der Befund lautete jeweils: Asbestose bekannt. Keine Veränderung. Keine wesentliche Einschränkung der Lungenleistung. Inge Bollmann allerdings berichtet von immer heftigeren Hustenanfällen: „Furchtbar, wie wenn die ganze Lunge rauskäme“.

Dann ging es auf einmal Schlag auf Schlag: Nach drei Jahren erneut untersucht, stellen die ÄrztInnen plötzlich Lungenkrebs fest, sogar Knochenmetastasen. Erich Bollmann wird sofort ins Krankenhaus verlegt und bestrahlt. „Der schlief nur noch, obwohl er immer ein Stier gewesen ist und lustig“, sagt seine Frau.

Am 8.7.1993, einen Tag vor seinem Tod, fängt er plötzlich nochmal lauthals zu singen an, erst „O du schöner Wesrwald“, dann „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Da zog wohl sein Leben an ihm vorbei, vermutet Inge Bollmann, man habe ja so viele Kellerfeste gefeiert. Dann stirbt er. Drei Monate nach der Diagnose Krebs.

Einzig für diese drei Monate zahlt die Berufsgenossenschaft Chemie, also die Unfallversicherung der Chemie-Industrie, eine Entschädigungsrente. Nichts rückwirkend.

Die Witwe glaubt aber, daß der Krebs schon früher da war. Allerdings liegen aus den drei jahren zwischen der letzten Routineuntersuchung und der krebsdiagnose keine Röntgenbilder vor. Schließlich sollte der Mann sich ja auch nur alle drei Jahre melden. Der Reichsbund unterstützt Inge Bollmann bei ihrer Klage, sieht aber wenig Aussicht.

Zumal die Chemie-Berufsgenossenschaft als besonders pfennigfuchserisch gilt. „Wenn die Berufsgenossenschaft kooperationsfähiger wäre, würde sie irgendwo in den drei Jahren zwischen den Untersuchungen einen Strich ziehen und sagen, okay, hier begann vielleicht der Krebs, ab hier zahlen wir“, sagt Ralf Pleß aus der Rechtsabteilung des Reichsbundes.

Inge Bollmann bekommt jetzt zwar eine Hinterbliebenenrente, doch die wird mit der Altersrente des Mannes verrechnet, mehr kommt dabei unterm Strich nicht raus – als Entschädigung im eigentlichen Sinne kann sie dieses Geld nicht verstehen. Angeblich, sagen die Versicherungen, sei diese Verrechnung für Hinterbliebene nach dem neuen Rentenrecht möglich. Der Reichsbund und Inge Bollmann halten das nicht für möglich. Sie wollen vor Gericht ziehen, wenn's sein muß, bis vors Bundessozialgericht. cis