Relikt des Sowjetfußballs

■ Dinamo Kiew - Bayern München 1:4 / Gegen einen schwachen Kontrahenten erreicht Deutschlands Meister das Viertelfinale der Champions League

Berlin (taz) – Passend zur Qualifikation der Münchner Bayern für das Viertelfinale der Champions League gegen IFK Göteborg gab es von oberster Stelle eine Sondergratifikation für den Präsidenten. Der hochwohllöbliche João Havelange selbst entschuldigte sich bei Franz Beckenbauer für die Angriffe des FIFA-Sprechers Tognoni, der dem mundfertigen Bayern- Boss geraten hatte, lieber eine Fahrt auf den Mond zu buchen, wenn er seinem Amte nicht gewachsen sei. Anlaß für die Schelte war Beckenbauers Kritik am fußballerischen Regelwerk nach dem Platzverweis des Münchner Spielers Kuffour wegen unterlassenen Rückmeldens. Es stehe einem FIFA-Angestellten nicht an, „sich über einen deutschen Vereinspräsidenten abfällig zu äußern“, ließ der FIFA-Präsident nun verlauten, quasi ein Freibrief für Beckenbauer, künftig noch munterer drauflos zu schwadronieren.

Am liebsten tut er dies in einer Boulevardkolumne, in der er kurz vor dem entscheidenden Bayern- Spiel bei Dinamo Kiew seinen angestellten Kickern kräftig heimleuchtete und einer erklecklichen Anzahl mit baldiger Kündigung drohte. „Man darf nicht alles auf die Goldwaage legen, was so täglich in den Gazetten herumgeistert“, relativierte Beckenbauer selbst wenig später die Früchte journalistischer Tätigkeit, und auch wenn er dabei wohl kaum die unter seinem Namen erscheinenden Elaborate meinte, kann man davon ausgehen, daß die Spieler die Sache ähnlich sehen. Mit anderen Worten: Beckenbauers Kolumne war nicht der Grund für Bayerns Einzug unter die „besten Acht in Europa“ (Manager Uli Hoeneß). Was aber dann?

Da wäre zum einen das gnädige Los, das die starken Teams aus Barcelona, Manchester, Göteborg, Mailand, Amsterdam und Salzburg in zwei Gruppen konzentrierte und den Bayern neben den unschlagbaren Parisern in Gestalt von Spartak Moskau und Dinamo Kiew die traurigen Relikte des ruhmreichen Sowjetfußballs bescherte. Da wäre die gnädige Hilfestellung von St. Germain, das es sich trotz feststehenden Gruppensieges nicht nehmen ließ, die Moskauer mit 4:1 in Grund und Boden zu spielen. Da wäre ein gewisses Glück. Und da wäre eine unverkennbare Leistungssteigerung der Münchner, die vor allem einen Namen trug: Jean-Pierre Papin.

Zum ersten Mal zeigte der kleine Franzose das, was die Bayern eigentlich von Anfang an von ihm erwartet hatten. Kurz vor der Halbzeit zirkelte er geradezu artistisch eine Flanke in den Strafraum, die Nerlinger ins Tor köpfte, wodurch er das irreguläre Tor der Gastgeber ausglich.

Schewtschenko hatte in der 38. Minute aufs Tor geschossen, und der Ball war von einem ukrainischen Spieler aus klarer Abseitsposition verlängert worden. In der 57. Minute köpfte Papin dann ein Flanke, die so flach kam, daß sie nur ein Spieler seiner Größe ohne gesundheitliche Schäden mit dem Kopf erreichen konnte, wuchtig ins Netz. Neun Minuten vor Schluß verwandelte er einen Querpaß von Hamann, der sich selbst nicht traute, und in der 87. Minute ebnete er Mehmet Scholl im perfekten Doppelpaß den Weg zum 4:1. „Heute war ich hundertprozentig fit, und es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht“, durfte sich der bisher von zahlreichen Verletzungen geplagte Papin zu Recht freuen. Dinamo Kiew, obwohl noch mit Chancen auf das Viertelfinale, erweckte nie den Eindruck, ernsthaft gewinnen zu wollen. Der vermeintliche Star des Teams, der übergewichtige Leonenko, ging nur spazieren und war wohl hauptsächlich gemeint, als Trainer Jozef Szabo klagte: „Wenn Spieler, die noch nicht die Klasse haben, glauben, daß sie die Besten sind, endet das traurig.“ „Nicht zu zehn Prozent“ hätten seine Leute ihre Aufgabe erfüllt.

Den Bayern konnte es recht sein. Trainer Trapattoni kann sich zumindest bis zum nächsten Bundesligaspiel einbilden, daß die Mannschaft sein System langsam begreift, und die Spieler dürfen weiter rätseln, wen Präsident Beckenbauer mit seiner erneut bekräftigten Aussage von den fünf Leuten, die es nie lernen und „von denen wir uns trennen müssen“, meint. „Scholli in die Muppet- Show, duda, duda“, sangen Ziege und Scholl nach dem Sieg von Kiew ausgelassen in der Kabine. Einiges deutet darauf hin, daß der Song durchaus prophetischen Gehalt haben könnte. Matti Lieske