Ohne Anführungsstriche

Wie mit der Paintbox komponiert: „Talent“, die neueste Platte des Kölner Low-Tech-Bastlerduos Workshop  ■ Von Tilman Baumgärtel

In der lange zurückliegenden Zeit, als Schallplatten noch auf Vinyl gepreßt wurden, gab es diesen ziemlich schlechten Witz: A bringt B eine ausgeliehene Platte zurück. Sagt B zu A: „A, wie hat dir die Platte gefallen?“ Sagt A: „Prima, ich habe gleich meine Lieblingsstellen angekreuzt.“

So ähnlich wie Witzfigur A hat auch die Kölner Band Workshop ihre erste CD zusammengestellt: Aus den Lieblingsstellen ihrer Plattensammlung ist eine neue Platte geworden. Und obwohl das Werk des Kölner Duos fast ausschließlich aus Soundfragmenten besteht, die es schon vorher gegeben hat, ist dabei eine noch nie dagewesene Musik herausgekommen.

„Talent“ ist eine der raren Sensationen in der deutschen Popmusik. Trotz ausführlicher Recherche im musikbegeisterten Bekanntenkreis ist bisher niemandem auch nur ein einigermaßen plausibler Vergleich mit der Musik dieses Albums eingefallen. Workshop wurden mit so verschiedenen Künstlern wie George Clinton, Lee „Scratch“ Perry, Can, den ganz frühen Residents, De La Soul und sogar mit Kaufhaus-Muzak und Techno verglichen, bevor schließlich jeder zugeben mußte: So eine Musik wie auf „Talent“ hat es noch nie gegeben. Aber wenn man Kai Althoff, die eine Hälfte von Workshop, fragt, wie „Talent“ entstanden ist, erfährt man nur knapp: „Das Programm war eigentlich, daß es kein Programm gibt. Die ganze Platte ist nur aus Zufallsintuitionen entstanden.“

Objets trouvés

Freilich, daß eine Studioband aus Sound-Fremdmaterial ihre eigenen Songs macht, ist seit „Pump up the Volume“ von M.A.R.R.S. nichts Neues mehr. Die Geschichte der Popmusik war immer auch die Geschichte ihrer Produktionsmittel; jede neue technologische Hardware hat auch die ihr entsprechende musikalische Software hervorgebracht: Mitte der achtziger Jahre wurden die „Sampler“ genannten digitalen Klangspeicher, mit denen man so herrlich anderer Leute Musik zusammenstückeln konnte, immer billiger. In der Folge begannen immer mehr Bands, aus musikalischen Objets trouvés ihre eigene Musik zu montieren. Mit der Hilfe von Kollege Computer entstanden Platten, ohne daß irgend jemand ein Instrument in die Hand genommen hätte.

So ähnlich war es auch bei „Talent“, der dritten Veröffentlichung und ersten CD von Workshop – nur daß die Musik eben ganz anders klingt als alles, was vorher mit Samplern gemacht worden ist. Disco-Beats aus den siebziger Jahren treffen auf Orchesterarrangements wie aus einem Film-Soundtrack. Afro-Pop scheint im Schnelldurchlauf durch den CD- Player zu nudeln, bevor eine Zigeunerjazz-Fidel dazwischenfährt. Dieses Bass-Riff muß aus einem Funkstück à la Sly Stone hereingeblubbert kommen, und, hey, ist das nicht die Stimme des jungen Michael Jackson, die da in einer endlosen Schlaufe „I used to have a love“ wiederholt, bevor ein Synthesizer wie aus einer Neue-Deutsche-Welle-Nummer einsetzt?

Kein Programm

„Uns war klar, daß wir auf unserer ersten CD keine handgespielte Musik haben wollten“, sagt Kai Althoff. Zusammen mit Stefan Arby macht er seit 1979 unter dem Namen Workshop Musik. Schon in der Schule produzierten die beiden heute 27jährigen mit Koffern, Radios und anderen Instrumenten, die nicht gerade zum musikalischen Kanon gehören, ihre ersten Aufnahmen. Doch erst seit Anfang der neunziger Jahre erschienen zwei LPs, die von Gastmusikern mit relativ konventionellen Mitteln eingespielt worden waren.

Das musikalische Programm, das schon damals keins war, gab der Titel der ersten LP von 1990 vor: „People take action to receive certain results like the workshop now deliberately giving in to the momentary urge to make music“ (Menschen tun etwas, um bestimmte Resultate zu erreichen, so wie der Workshop jetzt dem augenblicklichen Drang, Musik zu machen, nachgibt).

Entsprechend improvisiert und von spontanen Einfällen bestimmt war die Musik dieser Sessions. Damit das ganze nicht zum Vehikel für musikalische Selbsterfahrungstrips geriet, bediente man sich schon mal der Mittel, die man bis dahin eher aus der Konzeptkunst und von Andy Warhol kannte: Auf Tournee schickte man einfach eine lokale Schülerband unter dem Namen Workshop auf die Bühne, statt selbst aufzutreten.

„Talent“ ist bewußt Low-Tech gehalten. Die erwähnten Lieblingsstellen aus der Plattensammlung wurden im Kinderzimmer- Heimstudio des 21jährigen Tontechnik-Studenten Christoph Rath zusammengebastelt – „ein Stück pro Tag“, wie Kai Althoff erzählt.

Das ist technisch nicht weit vom HipHop entfernt – und doch anders: Rapper wie Ice Cube oder Public Enemy benutzen Samples sehr bewußt und sehr postmodern als Referenzen: Ein Curtis-Mayfield-Bassriff verweist – wenigstens für die Initiierten – auf die Black- Power-Bewegung der späten sechziger Jahre. Die Stücke auf „Talent“ sind dagegen keine musikalische Collage aus anderen Musikstücken mehr, bei der den einzelnen Teilen ihre historische oder musikalische Bedeutung belassen wird.

„Popcorn“ und RAF

Workshop verarbeiten ihre Samples eher wie ein Grafiker, der mit der Paintbox Fotos zu komplett neuen Bildern zusammenfügt. An den geplünderten Songs interessiert nur noch ihre Materialität (ein seltsamer Sound, ein schräger Synthie-Ton, ein rappeliger Rhythmus), nicht mehr ihr historischer Bezug oder „Inhalt“.

Bei Workshop haben die Zitate keine Anführungsstriche mehr – sie erzeugen nur noch Stimmungen und Vorstellungen. Althoff: „Für mich ist ,Popcorn‘ aus den siebziger Jahren ein Stück, das solche Assoziationen auslöst. Als ich das als Kind gehört habe, habe ich mir immer bunte, entmenschlichte Plastiklandschaften vorgestellt. Aber heute kommt dabei auch ein Bild hoch von meinen Eltern, die unter der Deutzer Brücke in Köln stehen. Und es hat etwas mit der RAF zu tun, so ein Gefühl von Umbruch.“

Workshop: „Talent“. L'Age d'Or, im Vertrieb von EWM, Lado 17030.