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Europas Osten mißtraut Europas Westen

Seit fast fünf Jahren hoffen die osteuropäischen Staaten auf eine Öffnung der Europäischen Union / Doch vom Ende der Blockkonfrontation profitierte bisher vor allem der Westen  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Ein Mittagessen in Essen: zumindestens das ist den sechs osteuropäischen Ländern, die mit der Europäischen Union assoziiert sind, sicher. Allerdings nicht auf dem EU-Gipfel, der heute beginnt. Denn strenggenommen sind die Vertreter Polens, Tschechiens, der Slowakei, Ungarns, Rumäniens und Bulgariens auf diesen gar nicht eingeladen. Am Rande des EU- Treffens in Essen könnten die Osteuropäer im Rahmen eines Meinungsaustausches ihre Ansichten vortragen, präzisierte Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Einladung an die sechs.

„Besser als nichts“, lautet die halb zufriedene, halb enttäuschte Reaktion in den osteuropäischen Ländern — hatten sie doch ursprünglich überhaupt nicht eingeladen werden sollen. Erst nachdem die Regierungschefs Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns auf dem Treffen der Mitteleuropäischen Freihandelszone (Cefta) Ende November im polnischen Poznan protestierten, setzte Bundeskanzler Kohl eine Einladung im letzten Moment durch.

Die unverbindliche Einladung an die assoziierten EU-Mitglieder Osteuropas ist symptomatisch. Die Europäische Union hält die ehemaligen Ostblockländer mit halbherzigen Gesten auf Distanz. Jene dagegen bemühen sich seit Jahren verzweifelt um eine engere Anbindung an die EU, sehen sich aber im Stich gelassen. Dabei geht es für die Osteuropäer um existentielle Fragen. Nachdem die Länder des einstigen Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) auf ihrem Territorium im Januar 1991 die Dollarabrechnung und Weltmarktpreise eingeführt hatten, brach der Handel zwischen ihnen aufgrund des Devisenmangels und fehlender Kooperationsmechanismen schlagartig zusammen.

In den Assoziierungsabkommen, welche die EG mit den Visegrád-Ländern (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei) Ende 1991 und mit Rumänien und Bulgarien im Frühjahr 1992 abschloß, überschritt die Gemeinschaft nicht die Grenze des für sie problemlos Machbaren. Die wenigsten Zugeständnisse machte sie in den „empfindlichen Sektoren“ Stahl, Textilien und Agrarprodukten. Das sind vor allem die Waren, welche die osteuropäischen Länder in umfangreichem Maße exportieren könnten und mit denen sie am konkurrenzfähigsten wären.

In der EU wird mittlerweile zugegeben, daß sie bisher am meisten von der Öffnung Osteuropas profitiert hat. Erreichte die EG vor 1989 noch ein deutliches Handelsbilanzdefizit mit Osteuropa, so stieg der Überschuß in den folgenden Jahren steil an und erreichte 1993 rund 11 Milliarden Mark. Manche Brüsseler Beamte sehen so die Notwendigkeit ein, daß die EU ihren Markt vor allem für Agrarprodukte mehr öffnen müsse.

Dennoch wird der Gipfel den osteuropäischen Ländern kaum Neues bieten. Ein bereits ausgearbeites „strategisches Dokument“ bestimmt in elf Punkten die zukünftige EU-Politik gegenüber Osteuropa, ohne den Ländern mehr Konkretes als bisher zu bieten. Statt einem gewünschten Zeitplan zum EU-Beitritt wollen die Teilnehmer des Gipfels die Ausarbeitung eines „Weißbuches“ beschließen, welches die Bedingungen für diesen angibt. Daneben ist eine Institutionalisierung des „politischen Dialoges“ zwischen der EU und Osteuropa im Gespräch. Zur Abstimmung steht außerdem die Erhöhung des „Phare“-Fonds von fünf auf sieben Milliarden Ecu, mit denen technische Assistenz beim System- und Strukturwandel in Osteuropa finanziert werden. Für diesen Fall haben allerdings die Mittelmeeranrainerstaaten gefordert, daß auch in ihren Hilfsfonds mehr Geld fließt.

Während den sechs osteuropäischen Ländern damit schon im Vorfeld klar gemacht wurde, daß sie keine entscheidenden Veränderungen der bisherigen EU-Politik zu erwarten haben, wächst der Druck auf Westeuropa. Umfragen zufolge beurteilt in allen osteuropäischen Ländern eine deutliche Mehrheit die EU negativ, in den Visegrád-Ländern sind es bei steigender Tendenz im Durchschnitt 62 Prozent der Bevölkerung.

Daß somit auch die demokratischen und marktwirtschaftlichen Reformen geschwächt würden, stellt ein UNO-Bericht zu den Beziehungen zwischen der EU und Osteuropa fest, der am Mittwoch vorgestellt wurde. Er kritisiert den Protektionismus der EU und fordert eine verstärkte Öffnung des Binnenmarktes für osteuropäische Produkte. Gefordert wird darin auch, Investitionen nicht der Privatwirtschaft zu überlassen, sondern allen osteuropäischen Regierungen konkrete EU-Hilfsprogramme anzubieten. Denn bisher, so der Bericht, sei die Unterstützung der Reformen in Osteuropa rein theoretisch geblieben.

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