■ Mit Euro-Verkehrsnetzen auf du und du
: Gigantomanie

Der Brenner-Tunnel ist zwar das Projekt, das auf der Prioritätenliste der Europäischen Union (EU) ganz oben steht. Doch daneben haben sich die Verkehrspolitiker der EU noch eine ganze Menge anderer gigantischer Projekte einfallen lassen. Das „transeuropäische Verkehrsnetz“, von dem auch heute beim EU-Gipfel in Essen wieder geschwärmt wird, soll ganz Europa mit neuen Autobahnen, schnellen Bahnstrecken und Flughäfen überziehen.

Allein unter „Priorität 1“ werden 14 Ausbauprojekte genannt. Darunter sind, um nur ein paar Beispiele zu nennen, eine Autobahn vom griechischen Pelopones bis nach Bulgarien, ein Highway quer durch Portugal, eine Hochgeschwindigkeitsbahn von Paris bis Karlsruhe, ein neuer Flughafen für Mailand und schließlich auch der Brenner-Tunnel, dessen Bahnstrecke selbstverständlich ICE-tauglich bis Berlin weitergeführt werden soll. Unter „Priorität 2“ liest man diverse Kanalbauten, eine Trasse für den Transrapid und etwa zwanzig weitere Projekte, darunter auch der Flughafen Berlin.

Entwickelt wurde diese Idee der „transeuropäischen Netze“ von einer Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des EU-Kommissars Henning Christophersen. Neben Verkehrswegen diskutierten die Regierungsvertreter auch die Verbesserung von Telekommunikation und Strom- und Gasnetzen in Europa; einen ersten Plan legte Jacques Delors, Präsident der EU-Kommission, vor einem Jahr in einem „Weißbuch“ vor. Dahinter stand der Glaube, die Projekte könnten die Arbeitslosigkeit lindern. Die Planer der „Christophersen-Gruppe“ entwickelten kaum neue Projekte, sondern griffen auf nationale Ideen zurück — siehe Brenner-Tunnel oder Berlin-Flughafen.

Die Kosten dieser Schnellstrecken für Autos, Bahnen und Schiffe sind fast so groß wie ein Bundeshaushalt: Erste Schätzungen kommen auf 400 Milliarden Mark. Doch genau kalkuliert ist noch kaum eines der Projekte, wie auch das Beispiel Brenner-Tunnel zeigt. Dort schwanken die Berechnungen ganz erheblich. Von 13 bis 20 Milliarden gehen die Experten aus.

Letztlich dürfte es in vielen Fällen aber egal sein, wieviel die einzelnen Teile eines „transeuropäischen Verkehrsnetzes“ wirklich kosten. Denn der EU fehlt das Geld für die Realisierung ihrer Träume — pro Jahr verfügt die Gemeinschaft über einen Haushalt von etwa 140 Milliarden Mark. Für die 400 Milliarden, die zudem sehr vorsichtig kalkuliert sind, wären die gesamten Einnahmen aus drei Jahren nötig. Selbst auf zehn Jahre gestreckt, ergibt das Programm ein Volumen, das sich die EU nie und nimmer leisten kann.

In den Staatskassen der Mitgliedsländer sieht es freilich nicht besser aus. Für die 13 oder 20 Milliarden für den Brenner- Tunnel will die Bundsrepublik deshalb zum Beispiel auch auf keinen Fall Zuschüsse gewähren. Das Zauberwort des Verkehrsministers Matthias Wissmann lautet deshalb „Privatisierung“. Er hofft noch immer, daß sich Banken und Unternehmen finden, die die notwendigen Milliarden für die Tunnels aufbringen.

Diese Investoren würden die Gebühren für die Durchfahrt kassieren und dadurch auf ihre Kosten kommen. Weil ein solcher Tunnel aber sicher erst nach Jahrzehnten Gewinn abwirft, will die EU-Kommission am Anfang einige Finanzhilfen gewähren. Doch auch dafür bleiben die Mittel begrenzt. Die EU-Finanzminister haben vor kurzem nochmals bestätigt, daß dafür bis zum Jahr 2005 maximal 0,9 Milliarden Mark ausgegeben werden könnten. Damit fehlen nur noch gut 399 Milliarden Mark. Felix Berth