Unterirdisch, sinnlos, teuer

Der EU-Gipfel will über das europäische Hochleistungs-Verkehrsnetz beraten – das Kernstück soll der Brenner-Basistunnel werden  ■ Von Margaretha Kopeinig

Wien (taz) – Fritz Gurgiser, Chef des Tiroler Transitforums, heizt den Politikern ein. Kleine Erfolge, Lärmschutzbauten zum Beispiel, haben ihn gestärkt. Jetzt hat Gurgiser die EU-Verkehrspolitik im Visier: Die Mammutprojekte, die Europa mit einem Netz von Hochleistungsstrecken, Tunnels und mehrspurigen Autobahnen überziehen sollen, mißfallen den Tirolern. Widerstand regt sich in erster Linie gegen die als vorrangig eingestufte, 409 Kilometer lange Alpentransversale München– Innsbruck–Verona, deren Kernstück der Brenner-Basistunnel sein soll.

Seit Mitte der achtziger Jahre wird das Projekt diskutiert, von Politikern, Eisenbahnmanagern und Bauunternehmen propagiert. Die 55 Kilometer lange, von Innsbruck nach Franzensbrücke im Südtirol führende Röhre und drei weitere Tunnelbauten sollen die Probleme beseitigen, die der Personen- und Güterverkehr von Bayern nach Norditalien verursacht. Der Lärm von 8.000 Lastwagen pro Tag auf der Inntal-Brenner- Autobahn beeinträchtigt die Lebensqualität. Für 1994 rechnet das Amt der Tiroler Landesregierung mit einer Zunahme des Transitverkehrs von zwölf Prozent, das sind 1,125 Millionen Lkw im Jahr. Und schon jetzt hinterläßt der grenzüberschreitende Verkehr täglich 50.000 Kilogramm Abgase und jährlich 18 Millionen Kilogramm Stick- und Kohlendioxid, Kohlewasserstoff, Ruß und Staubpartikel.

Politiker wollten etwas tun. 1989 gaben die Verkehrsminister Österreichs, Deutschlands und Italiens eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Das Ergebnis: „Von 53 Varianten ist die Alpentransversale die beste Alternative. Ab 1996 soll mit dem Ausbau der Strecke München–Verona begonnen werden, im Jahr 2010 erfolgt der Startschuß für den Brenner-Basistunnel“, sagten die drei Minister unisono auf dem EU-Verkehrsgipfel Anfang Juni in Montreux. Etwas später rückten sie mit dem bislang geheimen Rechenwerk heraus: Rund 26 Milliarden Mark kostet das Projekt, 16 Milliarden entfallen auf Italien, zwei Milliarden auf Deutschland und acht Milliarden auf Österreich.

Umgehend hagelte es massive Kritik von seiten des Tiroler Transitforums und der im Landtag vertretenen Grün-Alternativen Partei. „Absurd bis ins Letzte“, schimpft Gurgiser, und die Umweltlandesrätin der Grünen, Eva Lichtenberger, sieht im Projekt einen „riesigen Etikettenschwindel“. Sie fordert „Kostenwahrheit“. Denn: „Die Erhöhung der Transportgebühren, um zumindest Kostengleichheit mit der Schweiz und Frankreich herzustellen, wäre ein erster Schritt. Wir können uns nicht leisten, der billige Jakob zu sein.“

Vor wenigen Wochen präsentierten die Kritiker in einer eigenen Studie ihre umweltschonende Verkehrspolitik: Die bestehende Brenner-Eisenbahn müsse modernisiert und der Güter- und Personentransit auf die Schiene verlagert werden. Über die Hälfte des Brenner-Güterverkehrs wäre vermeidbar, ohne daß deshalb nördlich oder südlich der Alpen Versorgungsengpässe auftreten würden. Vorrangig sei die Beseitigung des Lärmproblems. Und langsamer ginge es auch: „Weder Personen noch Güter müssen mit so hohen Geschwindigkeiten transportiert werden“, sagt Gurgiser. Schützenhilfe bekommen die Umweltschützer von der Wissenschaft. Das österreichische Institut für Raumplanung (ÖIR) stellte fest, daß es besser wäre, alternative Routen zu bauen. Gemeint sind eine Verbindung über Lindau und die Schweiz nach Mailand oder eine Strecke unter dem Fernpaß nach Innsbruck. Überhaupt, so die ÖIR-Experten, gilt die gewählte Bahnvariante als die teuerste weil längste Querverbindung durch die Alpen. Auch ein Gutachten des Münchner Büros für Innovative Verkehrs- und Umweltberatung, Vieregg & Rössler, vom August dieses Jahres, empfiehlt die Fernpaß-Reschen-Bahn als Alternative und sagt eine Kostenexplosion voraus. Die offiziell bislang genannten 26 Milliarden Mark für den Brennertunnel dürften auf 75 Milliarden anwachsen. Eine Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene sei nicht zu erwarten, wohl aber mit großen geologischen Problemen zu rechnen. Diese Kritik will das Wiener Verkehrsministerium nicht gelten lassen. Es gehe darum, eine Alternative zu den Schweizer Alpenübergängen zu schaffen, heißt es im Büro von Verkehrsminister Viktor Klima. Allerdings zeigt man nach dem jüngsten Treffen der EU-Verkehrsminister in Brüssel, die nur ein nichtssagendes Momorandum verabschiedeten, nicht mehr so große Eile. „Der Ausbau des Unterinntales, der Bahnstrecke Innsbruck–Wörgl und Wörgl–Kufstein ist für uns prioritär“, läßt Klimas Sprecher wissen. Der Baubeginn wird mit „frühestens 1997“ angesetzt, die Umweltverträglichkeitsprüfung steht noch aus. Aber gerade darauf sind Tirols Bürgerinitiativen besonders gespannt. Die Umweltsprecherin der Grünen weiß schon jetzt, daß dieses Verfahren „Aufsehen erregen“ wird.