Die PDS auf dem Weg nach Godesberg

Der Steuerhungerstreik hat die Debatte um die Perspektive der PDS kurzfristig verdeckt / Der Vorstand nimmt Abschied vom Klassenkampf / Das Spielbein Parlament wird Standbein  ■ Aus Berlin Christoph Seils

Auf der Hungerstreik-Kundgebung vor der Unabhängigen Parteienkommission rief der ostdeutsche Satiriker Jochen Petersdorf den Genossen in der letzten Woche zu, sie sollten angesichts der Angriffe des Finanzamts auf die PDS „weniger an den Weihnachtsmann, dafür aber mehr an den Klassenkampf glauben“. Sein Appell kam zu spät. Wenige Tage zuvor hatte sich der PDS-Bundesvorstand nach langer Diskussion endgültig von alten Ideen verabschiedet. Ein „neuer Gesellschaftsvertrag“ soll politisches Ziel der PDS werden. „Trotz aller Widersprüche zwischen den Klassen, Schichten und Gruppen der Gesellschaft“ werde es „ohne eine neue Übereinkunft zwischen ihnen keine veränderte Entwicklungsrichtung in der Produktions-, Konsumtions- und Lebensweise geben“. So steht es in den zehn Thesen, die der Bundesvorstand den Delegierten des PDS-Parteitags im Januar zur Diskussion und Verabschiedung vorlegen will. Die KPF-Vertreterin im Vorstand, Sarah Wagenknecht, sieht darin einen Kniefall vor den Sachzwängen des Kapitalismus, doch nur drei Hände regten sich im 18köpfigen Führungsgremium, um diesen Kotau zu verhindern.

Mit dem „neuen Gesellschaftsvertrag“ will die PDS das sogenannte „Ingolstädter Manifest“, das Gregor Gysi Anfang des Jahres veröffentlicht hatte, zur offiziellen Parteistrategie machen.

Mit neuen Thesen auf „Umbau“-Kurs

Gysi hatte die nicht ganz neue Idee eines „New Deal“ angeregt, um den „sozialen Krieg“ zu verhindern. Gemeinsam mit „Gewerkschaften, aufgeklärten Unternehmern, Wissenschaftlern mit realisierbaren Projekten und Politikern mit humanen Visionen“ will auch die PDS jetzt zu einem „zukunftsweisenden Umbau der Gesellschaft“ kommen.

Doch an der Parteibasis sind Ideen des „radikalen Kleinbürgers“, wie die KPF Gysi nennt, bislang kaum bekannt und diskutiert worden. Dort befinde sich, so erklärte kürzlich der Ost-Soziologe Dietmar Wittich auf einer PDS- Konferenz, das „durchschnittliche gesellschaftstheoretische Wissen“ ungefähr auf dem Niveau des Erfurter Programms der SPD von 1891. Auf ihrem Parteitag Ende Januar will die PDS mit den neuen Thesen programmatisch neu orientieren. Doch statt der angekündigten Richtungsentscheidung enthalten die Thesen auf insgesamt 15 Seiten den bekannten politischen Gemischtwarenladen. Ob ostdeutsche Interessenvertretung, Nostalgieverein oder linke Opposition, für jeden ist etwas dabei. Ein Absatz, in dem Regierungsbeteiligungen in den neuen Bundesländern nicht ausgeschlossen werden sollten, wurde aus den Thesen wieder gestrichen. Darüber müsse, so heißt es nun, in der Partei weiter diskutiert werden.

Den Landesvorsitzenden von Brandenburg, Helmuth Markov – im bürgerlichen Beruf Manager eines Elektronikunternehmens –, interessieren die Debatten an der Parteispitze wenig. Er kündigte an, sein Landesverband strebe noch in diesem Jahrtausend Regierungsverantwortung an. Ähnlich Helmut Holter, PDS-Chef in Mecklenburg-Vorpommern: Er hofft auf ein schnelles Ende der Großen Koalition in Schwerin.

Und während im Bundesvorstand stundenlang über Grundsätzliches diskutiert wird – etwa darüber, ob die PDS die Wende oder den Wechsel anstrebe, ob Gleichstellung oder Gleichberechtigung von Frauen das Ziel der Partei sei –, profilieren sich die Landtagsfraktionen im landespolitischen Alltag und werden so zu den Trendsettern der PDS. Insbesondere in Thüringen, Mecklenburg- Vorpommern und in Sachsen-Anhalt ist das politische Gewicht der PDS als einzige Oppositionspartei bzw. als heimlicher, aber verläßlicher Mehrheitsbeschaffer für Rot- Grün erheblich gewachsen.

PDSler, die „mitregieren“, hungern nicht mit

Die parlamentarische Zusammenarbeit mit der PDS läuft hier längst reibungslos. Als Gysi und Bisky die Landesverbände letzte Woche aufriefen, ihren Hungerstreik zu unterstützen, ließ die Magdeburger PDS-Fraktionsvorsitzende, Petra Sitte, die Parteiführung abblitzen. „Wir können uns in Sachsen- Anhalt keinen Hungerstreik leisten“, erklärte sie. „Unsere Abgeordneten werden im Landtag dringend gebraucht, um die Regierung kritisch zu begleiten.“

Die Landespolitiker setzten ungewohnte politische Schwerpunkte, präsentieren sich immer häufiger als Regierung im Wartestand denn als linke Oppositionspartei. Statt der Landesvorstände haben die Fraktionen das Heft in der Hand, außerparlamentarische Aktivitäten werden kaum noch entwickelt. Außer Petra Pau in Berlin hat sich jeder ostdeutsche PDS-Landeschef einen einflußreichen Posten in der jeweiligen Landtagsfraktion gesichert.

Dem Bundeschef Lothar Bisky scheint die Gefahr bewußt, daß starke PDS-Landesfürsten zu einer Zerbröselung der PDS führen können und die Partei so aus Berlin nicht mehr geführt werden kann. Um dem entgegenzuwirken, soll der im Januar zu wählende neue Bundesvorstand nicht mehr alle Strömungen umfassen. So soll die Kommunistische Plattform innerparteilich kaltgestellt werden.