15 Jahre Haft für Leyla Zana

■ Mitgliedschaft in kurdischer Partei war für das Gericht „Mitgliedschaft in bewaffneter Bande“

Ankara (taz) – Hohe Haftstrafen hat gestern das Staatssicherheitsgericht in Ankara gegen acht kurdische Parlamentarier verhängt. Die fünf Abgeordneten der mittlerweile verbotenen „Partei der Demokratie“ (DEP) Leyla Zana, Hatip Dicle, Ahmet Türk, Orhan Dogan und Selim Sadak wurden wegen „Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande“ zu 15 Jahren Haft verurteilt. Der Abgeordnete Sedat Yurttaș muß wegen „Unterstützung einer bewaffneten Bande“ für sieben Jahre ins Gefängnis. Die Abgeordneten Mahmut Alinak und Sirri Sakik, die ebenfalls zu Haftstrafen verurteilt wurden, wurden auf freien Fuß gesetzt, weil ihre Untersuchungshaft angerechnet wurde.

Die Abgeordneten befinden sich in Haft, seit das türkische Parlament Anfang März ihre Immunität aufgehoben hatte. „Wir haben die Terroristen aus dem Parlament geschmissen“, rühmte sich damals die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller.

Die Anklage hatte wegen Landesverrats die Todesstrafe gefordert. Angesichts heftiger internationaler Kritik schreckte das Gericht vor der Verhängung der Todesstrafe zurück. Kurzerhand wurden am gestrigen Prozeßtag die Strafrechtsparagraphen 168 und 169 zur Anwendung gebracht.

„Dieser Prozeß ist ein Komplott. Wir wollten Frieden. Wir wollten das Blutvergießen stoppen“, erklärte die Abgeordnete Leyla Zana kurz vor der Urteilsverkündung. Unter rechtlichen Gesichtspunkten ist die Urteilsbegründung eine Farce. Die Antwort darauf, wie die Abgeordneten im Parlament in aller Öffentlichkeit als „bewaffnete Terroristen“ agiert haben sollen, bleibt das Gericht schuldig. Die Gesinnung der gewählten Parlamentarier war für das Staatssicherheitsgericht Grund genug, von einer PKK-Mitgliedschaft auszugehen. Die Abgeordneten hätten „intensive seperatistische Tätigkeiten ausgeübt und die Massen aufgehetzt“, heißt es in der Urteilsbegründung. Beweis: das „Nicht-Singen der türkischen Nationalhymne“ auf einem Kongreß der DEP und das Fehlen einer Büste des türkischen Republikgründers Atatürk in der DEP- Parteizentrale.

Außerdem hätten die Abgeordneten in der internationalen Öffentlichkeit als PKK-Militante gewirkt. Auch die Abgeordneten Mahmut Alinak, Sirri Sakik und Sedat Yurttaș wurden wegen öffentlicher Reden als „Unterstützer einer bewaffneten Bande“ verurteilt.

„Dieser Prozeß hatte wenig mit Recht zu tun“, erklärte Rechtsanwalt Yusuf Alataș nach der Urteilsverkündung, der alle Verteidiger aus Protest ferngeblieben waren. Die Anwälte wollen in Revision gehen und eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg einreichen.

Während des Prozesses waren alle Beweisanträge der Verteidigung abgelehnt worden. Der Angeklagte Orhan Dogan, nunmehr zu 15 Jahren Haft verurteilt, formulierte es klipp und klar: „Das Urteil wird nicht in diesem Gerichtssaal, sondern in der Residenz von Ministerpräsidentin Tansu Çiller gefällt.“

Zahlreiche Delegationen von internationalen Menschenrechtsorganisationen und Parlamentariern waren nach Ankara zur Urteilsverkündung gereist. „Dies ist ein Terrorurteil“, kommentierte der sozialdemokratische Europa-Abgeordnete Jannis Sakellariou. Die französische Abgeordnete Segolene Royal sagte, die Türkei habe keinen Platz in Europa, und Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) äußerte im Namen der Bundesregierung „Betroffenheit“.

Die deutsche Polizei zeigte sich auf ihre Art betroffen: Sie startete in Südhessen, Baden-Württemberg und Bayern eine der größten Durchsuchungsaktionen gegen kurdische Vereine und Wohnungen seit dem Verbot der PKK in Deutschland im März diesen Jahres. Nach Polizeiangaben wurde Propagandamaterial der Arbeiterpartei Kurdistans gefunden. Etwa 20 Personen seien festgenommen worden, sind aber inzwischen wieder auf freiem Fuß.

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