■ Straßmanns kleine Warenkunde
: Das Sorgen-Püppchen

Heute machen wir ein großes Faß auf, das Sorgenfaß. Normalerweise bleibt der Deckel ja zu, weil niemand Leute leiden kann, die das Sorgenfaß auf haben. Solche kommen meist gerade vom Facharzt oder von einem Arbeitskreis Betroffener. Facharztkunden und Teilnehmer an Arbeitskreisen Betroffener haben in mühevoller Kleinarbeit gelernt, von ihren Sorgen zu sprechen. Tagaus tagein quellen nun schwermetallhaltige Zahnpasten, asbestverseuchte Brandabschnittstüren, drohende Auslandseinsätze, der Krebs in uns allen und wuchernde Homorrhoiden im Besonderen aus ihren Mündern, daß einem der Atem stockt.

Nur: Wer immer schön alle Sorgen runterschluckt und für sich behält, weil er niemand auf den Keks und den Wecker gehen will, weil dieses Betroffenengenöle ja nicht zum Aushalten ist, weil man hat ja mit sich schon genug um die Ohren, da fragt schließlich auch keiner nach – der Sorgenschlucker also kriegt eine Herzkreislaufsache oder Gurgelkrebs.

Ich habe ja seinerzeit, genauer meinerzeit in Sorgenfällen einen Engel gehabt, der Minimum 2,20 Meter groß war, enorme Flügel hatte und Burkhard hieß. Das war so tröstlich, daß ich abends immer gut einschlafen konnte. Doch wem kann man heute noch Engel andienen? Der säkularisierten Weltbürger geht zu Anne Gesine.

Anne Gesines Eso-Shop hat die Sorgenpüppchen, 7,90 Mark die kleine Version. Man stelle sich guatemaltekische Kinderhände vor, die natürlich wahnsinnig fingerfertig sind, wie sie aus fingernagelgroßen Pappröllchen, bunter Baumwolle und schwarzem Sand Sorgenpüppchen basteln für Bremer Sorgen. Abends erzählen wir jedem Püppchen je eine Sorge, dann kommen die kleinen Dinger unters Kopfkissen, und am nächsten Morgen sind sie weg. Die Sorgen. Die Püppchen aber sind überraschenderweise noch da und bereit, neue Sorgen aufzunehmen.

Manchmal klappt das nicht. Die Sorgen sind morgens noch da. Der Steuerbescheid liegt noch da, die Liebste haßt einen noch, und der Kleine hat immer noch Pseudekrupp. Dann sind die Sorgenpüppchen schon voller Dritteweltsorgen hier angekommen. Da sollten wir ein Auge zudrücken, weil es eigentlich doch ganz toll ist von der Dritten Welt, kleine Püppchen für unsere Sorgen zu bauen.

Burkhard Straßmann