Die Nummer mit den Nummern

■ Unter dem Motto "Fisch sucht Fahrrad" trafen sich zum dritten Mal Singles im BKA-Zelt / Mauerblümchen und Erotomanen suchen alle dasselbe - aber was?

Frau sucht Mann

Wohin das Frauenauge auch schaut: Männer, Männer und noch mehr Männer. An diesem Donnerstag abend sind es ungefähr dreimal soviel wie Frauen. Ich bin begeistert und drehe die erste Runde. Das Vorwärtskommen ist schwer. Nicht, weil es so rappelvoll ist, sondern wegen der Blicke, die stellfallengleich ausgelegt sind. Und erst die Luft, die jede blickdichte Strumpfhose in den Schatten stellt.

Mehr aus Pflichtgefühl denn aus Lust verrenke ich mir die Augen beim Lesen der Anzeigen und klebe mir die Nummern der Herren auf den Rücken, deren Angaben ich gerne überprüfen möchte: 294 gibt sich als interessantester Mann Europas, mehrfacher Akademiker und Milliardär aus und lockt mit einem stromlinienförmigen Körper. Sollte er eine Nullnummer sein, klebe ich noch die 324 dazu – ein gutaussehender junger Arzt, Latin-Lover-Typ, sucht für seinen Berlin-Aufenthalt eine attraktive Frau für eine phantasievolle erotische Affäre. Por qué no?

Bald wird es mir zu blöd, als Nummerngirl rumzulaufen. Soll sich das Zahlenkarussell ohne mich weiterdrehen. Im Nullkommanix bin ich mit Claus im Gespräch. Auch er lehnt eine Numerierung ab: „Ich bin keine Nummer“, protestiert der 25jährige Student. In seinem weißen Rollkragenpullover und dem Jackett aus feinem Zwirn hat er wirklich nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit einer solchen. Aber Nummern haben es ihm angetan – die von Telefonen. Denn erst nach einem zweiten Treffen könne er sich entscheiden. Er sei auf diese Parties angewiesen, denn die Frauen draußen seien zu 99,9 Prozent vergeben. Und an der Uni könne er unmöglich rumbaggern. Logo. Ein Ruf nach Harvard ist allemal besser als der eines Schürzenjägers. Bevor sich unsere Wege trennen, versichert er mir, daß er ohne Erwartungen gekommen sei – ein weit verbreiteter Selbstbetrug. Dann klagt er noch darüber, daß wissenschaftliches Denken bei gewissen Frauen nicht ankomme. Heutzutage müsse man witzig sein, lachen und kombinieren können. Eben!

Der gutaussehende Ethnologie- Student Stefano dagegen hat das echt gut drauf. Aber leider unterhalten wir uns quasi nur als Kollegen – dafür aber ziemlich angeregt. Denn Stefano ist undercover unterwegs. Er gehört einer Projektgruppe einer Ostberliner Uni an, deren Namen ich hier nicht nennen soll. Diese beschäftigt sich mit dem Boom solcher Kontaktparties. Unter dem Vorwand der weiteren kollegialen Kooperation tauschen wir Adressen und Telefonnummern aus.

Auch Chris, den ich über Schulterkontakt kennenlerne, gibt mir seine Nummer. Als er mir versichert, daß er nicht hier sei, um jemanden abzuschleppen, und daß er sächsische Frauen wie mich ganz toll findet, lasse ich mich von ihm nach Hause fahren. Ob seine Urgroßtante wirklich die Schauspielerin Adele Sandrock war, kann ich leicht überprüfen. Ich hab' ja seine Nummer. Barbara Bollwahn

Mann sucht Frau

Beim Betreten des Zeltes fällt mir auf, daß die meisten Männer und Frauen auf der Gebrauchtpartnerbörse ganz passabel aussehen. Offensichtlich sind es keineswegs die Chancenlosen, die sich im Flirtline-Dschungel tummeln. Sicher, es gibt auch Herzen, die wegen Kahlköpfigkeit, üppigen Schminkeverbrauchs, lose sitzender AOK-Kastagnetten gepaart mit Hornbrillen und normüberschreitender Bierwänste einsam sind.

Bettina dagegen ist zierlich, brünett, hat grüne Augen und ist geschieden. Die 38jährige, attraktive Angestellte ist mit ihrer Freundin Hanna hier. Ich setze mich zu den beiden tuschelnden Frauen, die sich angesichts der Vielzahl potentieller Partner nicht so recht entscheiden können, wer von den männlichen Singles für ein Techtelmechtel in Frage kommt. „Ist ja ganz witzig hier, es sind nur zu viele!“ kichern sie.

Bettina hat gemäß den Spielregeln der von tip initiierten Fisch- Fete zuvor eine Kontaktanzeige aufgegeben: „Flotte, attr. F., mal in Seide, mal in Jeans, schl., viels. Interessen, sucht sympath. attr. gr. Mann zw. 38 + 45, mit dem man lachen, weinen, tanzen, diskutieren u.v.a. machen kann.“ Dazu bekam sie eine Nummer, die sich mögliche Interessenten auf die Jacke pappen können. Scheinbar war Bettinas Anzeige weniger ansprechend als die Frau selbst, denn bislang hat sie noch keinen Mann mit ihrer Nummer entdeckt. „Aber das ist ja auch jetzt egal“, lächelt sie hoffnungsvoll und erkundigt sich nach meiner Beziehungssituation. Sie ist ein wenig enttäuscht, als ich ihr zu verstehen gebe, daß ich nicht gekommen bin, um ein Tierchen aufzureißen, sondern die Absicht habe, der Öffentlichkeit über die neue Form der alten Balzgewohnheiten zu berichten.

Ich verlasse die beiden Schönen und drängele mich durch die Menschenmassen. Die meisten Männer scheinen einfach nur Erotomanen zu sein. Aufreißwütige Nimmersatte, deren unverhohlen lüsterne Blicke die Frage widerspiegeln, ob sich diese oder jene wohl flirten ließe. Mit bis zu einem Dutzend Aufklebern bekleistert, stehen sie rum wie Litfaßsäulen, während die Frauen meist gar keine Nummernschilder tragen.

Als ich eine braunäugige Kerstin frage, warum sie denn keinen Aufkleber trägt, obwohl sie mit Blicken um sich wirft, als seien es Zündhütchen, antwortet sie schlagfertig: „Die Kerle brauchen doch nicht zu merken, daß ich scharf auf sie bin!“ Peter Lerch