Fürchterlich gerade

■ Zum 50. Todestag wird Mondrian retrospektiv gewürdigt - und von einer Kunsthistorikerin infrarot durchleuchtet

Er galt als Meister des rechten Winkels, seine Kunst war Moderne: Während Dada, Surreales und Sachlichkeit vorbeizogen, entwickelte Piet Mondrian seinen geordneten Kästchen-Stil. 1872 in Amersfoort geboren, lernte Mondrian an Braque und Picasso den Kubismus schätzen, bevor er sich 1917 mit Theo van Doesburg zur programmatischen „De Stijl“-Bewegung zusammenschloß. Ihre Idee von der „Evolution in der Malerei“ war klar definiert: Grundfarben, geometrische Felder, der Rhythmus der Theorie. Aus Anlaß der Mondrian- Retrospektive, die am 18. Dezember in Den Haag eröffnet, wurden acht Bilder aus den Jahren 1917 bis 1921 mit Infrarot- und Röntgenstrahlen untersucht. Das Ergebnis: Mondrian war ein unruhiger Geist, der oft nur flüchtig vorskizzierte und ständig seine Bilder übermalte. Auch technisch waren die Wunderwerke der Abstraktion nicht für die Ewigkeit gemacht. Heute zeigen sie Krakelees. Pien van der Wert, Jahrgang 1965, ist Kunsthistorikerin am Haags Gemeentemuseum in Den Haag. Sie beschäftigte sich mit Materialuntersuchungen zum Werk von van Gogh und schrieb über die Arbeitsweisen Piet Mondrians.

taz: Sie haben als Mitarbeiterin des Haagse Gemeentemuseum in den letzten zwei Jahren 150 Mondrian-Bilder untersucht. Gibt es über seine Arbeitsweise neue Erkenntnisse?

Pien van der Wert: Die Werke von Piet Mondrian wirken auf den ersten Blick einfach und klar. Die Kunstgeschichte sieht in ihm den vergeistigten, konzeptionellen Maler. Durch Mondrians theoretische Arbeiten ist das Werk zeitweise als „in Bild gesetzte Theorie“ verstanden worden. Er befand sich jedoch ständig auf der Suche. Meine Untersuchungen zeigen, daß es äußerst lange dauerte, bevor er mit einem Ergebnis zufrieden war. Während des Malens kamen ihm ständig neue Ideen.

Sie haben den Zeitraum der „De Stijl“-Jahre von 1917 bis 1921 untersucht. Wie verlief damals die Entwicklung?

Am Anfang dieser Periode stand „Komposition mit Farbflächen Nr. 3“. Mondrian verteilte über die Leinwand schwebende Farbflächen. Das Infrarotlicht läßt erkennen, wie er die einzelnen Flächen zunächst mit Holzkohle markierte. Sie wurden von ihm noch häufig verschoben und auch in ihrer Größe verändert. Aufgrund der Dicke der Farbschicht hatte ich das bereits vermutet. 1921 schuf er die Serie „Komposition mit rot, gelb und blau“, streng gegliedert mit schwarzen Linien. Sein Freund Seuphor konnte im Atelier beobachten, wie der Maler dazu mit transparenten Papierstreifen herumprobierte.

Zurück zu „Komposition mit Farbflächen Nr. 3“: Sie haben das Bild auch mit Röntgen untersucht.

Die Röntgenaufnahmen lassen Farblinien erkennen, die später mit einer weißen Farbschicht überzogen wurden. Mondrian war durch mehrfaches Übermalen der einzelnen Flächen auf der Suche nach der richtigen Farbstärke. Das eigentlich Interessante ist, daß er, anders als klassische Maler, das Zentrum des Bildes offenhielt und später mit zwei Farbflächen ausfüllte. Die Flächen stehen am Ende in regelmäßigen Reihen, es gibt kein Zentrum, wie es häufig in der Natur zu finden ist. Mondrian vollzieht hier einen wichtigen Schritt.

Wie kam Mondrian zu seiner strengen Linienführung?

Die Linien sind ja zum Teil fürchterlich gerade. In dem Rasterbild „Losangique mit grauen Linien“ von 1918 hat Mondrian zum Beispiel mit einer Latte oder einem Lineal gearbeitet. Die einmal gesetzten Horizontalen und Vertikalen hielt er unverändert bei, er hat sie später lediglich verbreitert. Das kann man selbst mit bloßem Auge an den hochstehenden Farbrändern des Pinselstrichs erkennen. Die Linien schmiergelte er danach glatt und glänzend, den dazwischen liegenden Flächen gab er eine matte, durch den Pinselstrich reliefartige Struktur. Es spricht viel dafür, daß Mondrian inzwischen nicht mehr an der Staffelei, sondern über einem Tisch arbeitete. Dabei war er manchmal auch nachlässig, wenn er mit den Linien an einem Bildrand nicht auskam. Übrigens mußte das Bild „Losangique“ bereits restauriert werden, weil das Tuch wegen seiner schlechten Qualität die Schwere der Farbe kaum halten konnte. Mondrian hatte ewig probierend zu viele Schichten übereinander aufgetragen.

Womit hat Mondrian in der von ihm so benannten neo-plastischen Periode begonnen – mit den Linien oder den Flächen?

In der Malerei „Komposition 1 mit rot, gelb und blau“ von 1921 zeichnete Mondrian die Linien mit Holzkohle an, hielt jedoch die Linienflächen erst einmal ausgespart. Nach den Farbflächen, die er immer noch beliebig verändern konnte, trug er die Linien auf. Zeitgleich konnte er die Farbstärke auf den Flächen bestimmen. Mondrian hatte endlich sein ideales Verfahren gefunden. Lediglich die kleine Horizontale rechts oben fügte er relativ spät hinzu. Das Infrarot zeigt, daß unter „Komposition 1“ auf der Leinwand bereits ein kubistisches Bild stand. Wenn man das Werk um neunzig Grad dreht, sind Bäume und Hausäcker zu erkennen. Vermutlich verwendete Mondrian die Leinwand ein zweites Mal, als er nach Paris zurückkehrte, sich aber schon in der neo-plastischen Periode befand. Interview: Harald Neckelmann

„Piet Mondrian: 1872 – 1944“, vom 18. 12. bis 30. 4. 1995 in Haags Gemeentemuseum, Den Haag; danach Washington und New York.

Im Taschen-Verlag ist eine Mondrian-Monografie von Susanne Deicher erschienen.